Transfer (German Edition)
Sie war allein auf die spärlichen Daten der
Monitorsoftware angewiesen, aber sie wußte aus eigener Erfahrung, dass es
mindestens ein bis zwei Stunden dauerte, bis sich der menschliche Körper von
den schlimmsten Auswirkungen der kryogenen Stasis erholt hatte und alle
medizinischen Checks durch die Medobots beendet waren.
Ein schneller Blick auf
den Bordchronometer. Tara Zordin verzog die Mundwinkel. Sie hatte das Gefühl,
die Zeit würde sich endlos dehnen. Die Sekunden und Minuten reihten sich so
träge aneinander, als mutiere die Zeit zu einem trägen, zähen Medium, wie ein
Sumpf, der unnachgiebig alles festhielt, was in seine Reichweite kam.
Nach der Schiffszeit, die
nach wie vor der terranischen Standardzeit folgte, war es jetzt früher
Nachmittag. In all den Bereichen, in denen sich die Mannschaft üblicherweise
aufhielt, folgte die Beleuchtung nach wie vor dem irdischen Tag und
Nacht-Schema. Sie würde die Crew also höchstwahrscheinlich noch bei Tageslicht
antreffen.
Wenn die Besatzung nicht
gerade zum größten Teil im Kälteschlaf lag, beschränkte sie sich in der Regel
auf bestimmte, streng abgegrenzte Bereiche des Schiffes und überließ den Rest
den Wartungsservomaten und automatischen Überwachungssystemen. Weite Teile der Dark
Horizon waren ohnehin schon vor vielen Jahren aufgegeben worden oder wurden
nur noch selten genutzt. Es gab ganze Sektionen im Zustand der progredierenden
Verwahrlosung, die seit Jahrzehnten Bordzeit niemand mehr betreten hatte.
Vermutlich war nicht einmal Tanner irre genug, sich auf den verlassenen Decks herumzutreiben,
auf denen Energieversorgung und Lebenserhaltungssysteme oft nicht mehr
reibungslos funktionierten.
Tara Zordin zündete sich nachdenklich
eine neue Zigarette an und blickte zum wiederholten Mal auf den
Bordchronometer. In diesem Augenblick gab ihr Multifunktionsarmband mehrere
tiefe Töne von sich. Das Schott des einzigen noch genutzten Kälteschlafraums
der Dark Horizon hatte sich geöffnet.
Kapitel 3
Inferno
Ares , A-Cygni, 2642
Die Druckwelle der
gewaltigen Explosion ließ sogar die Stahlkeramikkonstruktion der riesigen
Habitatkuppel in ihren Grundfesten erzittern. Corbin Deckart blickte
erschrocken durch die gepanzerte Panoramascheibe seines Büros in der obersten
Etage des Verwaltungsgebäudes im Zentrum der Kuppel und sah in der Ferne plötzlich
einen sonnenhellen Glutball über dem verschachtelten Konglomerat von
gigantischen Habitatkuppeln, Förderanlagen, vollautomatischen Fertigungshallen
und Containerstraßen aufsteigen, das die staubige Oberfläche des marsähnlichen
Wüstenplaneten auf einer Fläche von einigen Dutzend Quadratkilometern wie ein
häßliches Geschwür aus Stahlkeramik, Synthomasse und Glasverbundmaterial
bedeckte.
Kuppeln und Hallendächer
aus massiver Stahlkeramik barsten vor seinen Augen wie Eierschalen.
Kilometerhohe Flammensäulen schlugen aus den Anlagen hervor, von den
Folgeexplosionen wurden Teile der Habitatkuppeln wie Geschosse
davonkatapultiert und schwere Trümmerteile aus Stahlkeramik regneten auf die
Nachbargebäude herab. Fast instinktiv streckte Deckart seine Hand nach der
Kontrollkonsole seines Schreibtisches aus und aktivierte die zentrale
Sicherheitsschaltung. Augenblicklich verriegelte ein schweres Panzerschott den
Zugang zu seinem Bürokomplex, fast im selben Moment bauten sich außerdem
tiefgestaffelte, hochenergetische Schutzschirme um das gesamte
Verwaltungszentrum auf. Gleichzeitig alarmierte ein codierter Signalton seine
persönliche Leibwache, die daraufhin alle Zugänge zu seinem Büro- und
Privatbereich hermetisch abriegeln und an einigen strategisch wichtigen Punkten
innerhalb des Gebäudes in Stellung gehen würde.
Dieses Inferno war kein
Unfall, Deckart glaubte fast gleichzeitig Dutzende von Explosionen gesehen zu
haben. Wenige Sekunden später erreichte ihn, wenn auch gedämpft durch die
dicken Wände der Kuppel, der Donner der ersten Explosionen und das Zittern des
Bodens schien sich noch zu verstärken. Auf den Donner und das Beben, das sich
in Wellen verstärkte und schließlich abrupt abbrach, folgte endlich eine
dumpfe, beängstigende Stille, die in seinen Ohren zu dröhnen schien.
Deckart schüttelte seine
Benommenheit wütend ab und schlug mit der Faust auf eine der Tasten der
Kom-Anlage seines Schreibtisches.
"Sicherheitsdienst!
Ich erwarte sofort einen Bericht! Was zum Teufel ist hier los?"
Deckart fragte sich unwillkürlich,
ob einer seiner Konkurrenten
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