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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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heller Morgen für meine unausgeschlafenen Augen. Wir zogen die Cannebière hinauf, ich war der einzige Mann in dem Haufen spanischer Frauen und Kinder. Sie hatten sich schon an mich gewöhnt. Mir schien, ich sei unter allen Menschen in dieser Straße der einzige, der nicht abfahren wollte. Doch war es auch zuviel behauptet, daß ich durchaus hätte bleiben müssen. Wie schwer es auch sein mag, abzufahren, dachte ich, ich würde es zwingen können. Ich hatte mich bis hierher durchgeschlagen, ein sichtbares Unheil war mir bisher nicht widerfahren außer dem üblen Zustand der Welt, der leider zufällig mit meiner Jugend genau zusammenfiel. Das allerdings bedrückte auch mich. In Paris waren sicher die Bäume schon kahl, man fror dort, die Nazis raubten Kohlen und Brot. Wir bogen ein auf den Boulevard de la Madeleine an der häßlichen großen protestantischen Kirche. Die Frauen wurden schweigsam. Das war das mexikanische Konsulat? Ein Stockwerk in einem Mietshaus, das sich durch nichts von anderen Häusern unterschied. Die Haustür unterschied sich durch nichts von anderen Türen, bis auf das Wappen, das aber kaum sichtbar war für die achtlos Vorübergehenden, nur für unsere Augen nicht, die es unruhig suchten. Es war stark nachgedunkelt, seit ich in Paris versucht hatte, es zu entziffern. Kaum, daß ich den Adler noch unterschied auf dem Gestrüpp von Kakteen. Bei seinem Anblick zogsich mein Herz zusammen in einem Gefühl von schmerzlich freudigem Fernweh, eine Art von Hoffnung, doch wußte ich nicht, auf was. Vielleicht auf die Weite der Erde, auf unbekanntes gelobtes Land.
    Der Pförtner – er war keineswegs ein Zyklop, er war ein lederhäutiges Männchen mit klugem, trockenem Blick aus zwei schmalen Augen – wählte mich aus dem wartenden Haufen heraus, ich weiß nicht, warum. Ich mußte Begehr und Namen auf sein Papier schreiben. Ich schrieb: In Angelegenheit des Schriftstellers Weidel. Ich weiß nicht, wodurch er sofort den Eindruck gewann, er müsse mir gleich durch die Menge hindurch einen Weg nach oben bahnen. In dem engen, kleinen Vorraum gab es ein Dutzend vermutlich bevorzugter Wartender. Drei hagere und ein schwammiger Spanier schienen heftig zu streiten, es schien bis zum Messerziehen zu kommen, doch ging es vermutlich nur um einen gewöhnlichen Gegenstand mit riesigem Aufwand an Leidenschaft. Ein ganz zerlumpter, bärtiger Prestataire lehnte müde vor dem grellen Plakat: zwei bunte Kinder mit riesigen Hüten. Es war ein Reiseplakat und stammte aus Zeiten, in denen schwerbewegliche Menschen durch Buntheit der Länder zum Fahren verführt wurden. Auf dem einzigen Stuhl saß ein alter, schwer atmender Mann. Es gab noch ein paar Männer und Frauen, die nach der Beschaffenheit ihrer Kleider und ihres Haares und ihrem Geruch nach bestimmt aus Lagern kamen. Dann kam noch ein schönes, gutgekleidetes goldhaariges Mädchen – auf einmal sprachen alle zusammen, es kam mir nicht einmal mehr zum Bewußtsein, in welcher Sprache, es war eine Art von Chorgesang: Man läßt keine Fremden mehr nach Oran. – Unsereins läßt Spanien nicht durch. – Portugal läßt niemand mehr hinein. – Es soll ein Schiff über Martinique fahren. – Man kann von dort aus nach Kuba. – Doch ist man immer noch unter französischer Hoheit. – Doch immerhin, man ist fort.
    Ich hatte halb belustigt gewartet, halb gelangweilt. Undohne Gefühle und ohne Absicht betrat ich das Zimmer des Konsulats-Kanzlers, als man mich aufrief, halb belustigt, halb gelangweilt.
    Vor mir stand ein kleiner, noch junger Mann mit ungeheuer wachen Augen. Sie funkelten vor Vergnügen bei meinem Anblick. Nicht etwa, weil ihn gerade mein Besuch besonders erquickte. Er war von Natur aus so beschaffen, daß er imstande war, vielleicht als einziger unter seinesgleichen, sich täglich an jedem einzelnen Besucher seiner Kanzlei, und wären es ihrer tausend, die kamen, neu zu beleben. Ein jeder Vorgang in diesem Raum machte seine Augen funkeln, die Schliche der kleinen Schieber, außer der Reihe dranzukommen, die Hoffnung der ehemaligen Minister, auch einmal vorgelassen zu werden. Mit seinen überaus wachen Augen beluchste er jeden Menschen, der nach Mexiko fahren wollte: den Kaufmann aus Holland, dem seine Lagerhäuser in Rotterdam verbrannt waren, der aber noch Geld genug hatte, um die höchsten Kautionen anzubieten, den Spanier auf Krücken, der sich aus dem Bürgerkrieg über die Pyrenäen von einem Lager ins andere und schließlich bis hierher auf den

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