Transsibirien Express
anrückte.
Die Abgelösten schwankten zum Zug zurück und stürzten sich wie Raubtiere auf die dampfenden Teebecher. Die ganze Umgebung roch stark nach Schnaps. Es stank, als sei eine Wodkafabrik explodiert.
»Aus welchem Anlaß?« fragte Karsanow steif zurück.
»Sie schaufelt wie ein Mann, genau wie Klaschka, nun schon zwei Schichten hintereinander. Die beiden leisten mehr als die Männer!«
»Ich bin ja nicht blind, Werner Antonowitsch. Erstaunlich, wirklich erstaunlich! Bei Klaschka kann man es voraussetzen – das Weibsstück hat Kraft. Es strotzt geradezu vor Gesundheit. Aber Ihre Milda? Dieses zarte Püppchen? Und dann diese Ausdauer, diese Zähigkeit? Das verstärkt nur ihr Rätsel. Wäre sie eine Hure in der Lehrzeit, wie sie angibt, hielte sie das nicht durch! Das ist gekonnt, das ist gelernt, das ist geübt! Da gibt es keinen Leerlauf, keine Kraftverschwendung. Wenn man sie ansieht, muß man denken, sie täte ihr Leben lang nichts anderes als schaufeln …«
»Sie ist mit Schnee aufgewachsen, sagt sie.«
»Ich auch! Welcher Russe – abgesehen vom Süden – nicht? Trotzdem, sie arbeitet nicht zum ersten Mal mit der Schaufel. Ihre Milda belügt uns beide. Wenn der Zug wieder rollt, setze ich das Verhör fort.«
»Was haben Sie davon?« Forster lehnte sich gegen ein freigeschaufeltes Schneeschild der Lok. »Ich will Ihnen etwas gestehen, Pal Viktorowitsch. Ich liebe Milda …«
»So schnell geht das?«
»Es gibt seelische Explosionen, Pal Viktorowitsch. Haben Sie nie davon gehört?«
»Ich halte solche Formulierungen für Blödsinn! Was soll diese Liebe? Sie ist Russin, Sie sind Deutscher. Für ein paar Tage in einem Zug … gut! Und dann? Milda kann Rußland nicht verlassen, Sie dagegen müssen es, denn Ihr Visum läuft ab. Ob Sie jemals wieder nach Rußland hineindürfen, ist zweifelhaft. Gut, es gibt einen Papierkrieg, die Botschaften werden sich mit diesem Fall beschäftigen und vielleicht darf Milda eines Tages wirklich ausreisen … aber das braucht Geduld, Werner Antonowitsch, und Zeit! Eine Zeit, in der Sie zehn andere hübsche Mädchen kennengelernt und mit ihnen geschlafen haben!«
»Das glaube ich nicht. Ich werde Milda nie aufgeben, Pal Viktorowitsch!«
»Ein käufliches Mädchen!«
»Gehen wir von Ihrer Annahme aus, sie sei es nicht …«
»Noch fauler! Auf Dirnen kann Rußland verzichten, auf gute Arbeitskräfte aber nicht!« Karsanow nahm einen Becher mit Tee in Empfang, den ihm Mulanow brachte.
Der Tenor, der seine Freischicht hatte, sang im Wagen fünf ›Durch die Wälder, durch die Auen …‹ aus dem ›Freischütz‹.
Der General saß bei Jurij im Maschinenraum der Lok und diskutierte über die gesetzliche Regelung zur Mitführung von Flammenwerfern in sibirischen Zügen.
»Ich glaube, sie ist ein entflohener Sträfling«, sagte Karsanow plötzlich.
»Unmöglich! Was kann ein Mädchen wie Milda für ein Verbrechen begangen haben?«
»Jedes!« antwortete Karsanow grob. »Ein Engelsgesicht, ein schöner Körper, ein Paar zärtliche Hände, kußfreudige Lippen … sind das Argumente für Harmlosigkeit? Von Mord bis Sabotage ist alles drin, Werner Antonowitsch!«
»Sie sind besessen, Pal Viktorowitsch!« rief Forster wütend. »Ihre KGB-Tätigkeit läßt Sie überall Verbrechen sehen! Sie sind krank, Genosse Oberst, Sie sind ein Hypochonder!«
»Warten Sie es ab!« sagte Karsanow giftig. »Die Zeit des Versteckspielens ist bald endgültig vorbei.«
»Was willst du tun, Mildaschka?« fragte Klaschka, als sie sich einen Augenblick ausruhten und heißen Tee mit Wodka tranken. »Willst du bei Werner Antonowitsch bleiben? Liebst du ihn?«
»Ja.«
Milda sagte es so einfach, als sei es so selbstverständlich wie Essen und Trinken.
»Er muß in Wladiwostok Rußland verlassen. Was tust du dann?«
»Ich weiß es nicht, Klaschka.«
»Wollt ihr heiraten?«
»Wir haben nie darüber gesprochen. Nach den paar Tagen …«, Milda lächelte traurig. »Es ist alles so weit, so unfaßbar … man verläuft sich in sich selbst, Klaschka, wie in der weiten Taiga.«
»Am besten ist es, du bekommst ein Kind von ihm.«
Klaschka schlürfte den Tee und rollte den Schluck erst in ihrem Mund herum, ehe sie ihn hinunterschluckte.
»Ein Kind überzeugt! Vor einem dicken Bauch werden auch Beamte weich. Sie werden dich ausreisen lassen zu Werner Antonowitsch …«
»Mich nie! Nie, Klaschka!«
»Und warum?«
»Sie suchen mich …«
»Habe ich es nicht geahnt!« Klaschka stellte den
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