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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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haben einen Professor weggezerrt, der an Verstopfung leidet! Der Arme hat gebettelt und gefleht … Ohne Pardon! Fünf Minuten, dann Schluß! Wo bleibt da unsere revolutionierende Ordnung?«
    »Und Karsanow? Wo bleibt er? Das ist doch wieder ein Fall für ihn!«
    »Spielt Schach mit Hauptmann Plotkin.« Mulanow winkte ab. »Seien Sie froh, daß er nicht an Sie denkt. Hinter Tschita sind wir dran! Sie spielen nicht Schach?«
    »Nein …«
    »Ein grober Fehler. So, wie man sich vor Reisen in andere Länder gegen Typhus, Pocken, Gelbfieber oder Cholera impfen läßt, sollte man Schach erlernen, wenn man Rußland besucht. Sie werden tausend Freunde haben, Werner Antonowitsch! Karsanow ist ein Schachnarr, das habe ich beim Spiel mit Plotkin eben beobachtet.«
    »Und Sie, Boris Fedorowitsch?«
    Mulanow lächelte breit. »Ich habe Schach gespielt, bevor ich schreiben konnte. Ich bin Distriktmeister von Jaranskoje.«
    Ein verrückter Gedanke setzte sich in Forster fest. Aber nichts kann verrückt genug sein, wenn man Milda damit retten konnte. Er beugte sich vor und legte Mulanow seine Hände auf die Knie.
    »Boris Fedorowitsch, lehren Sie mich Schach …«
    Mulanow starrte Forster an, als habe ihm dieser einen unanständigen Antrag gemacht. »Jetzt? Hier?«
    »Ja, ich bin doch kein unintelligenter Mensch. Vielleicht begreife ich es sehr schnell …«
    »Ein Schachspieler lernt sein ganzes Leben.«
    »Mir genügen die Grundbegriffe. Ich will nicht als ein völliger Idiot dastehen, wenn ich Karsanow zum Zweikampf herausfordere.«
    »Sie wollen? Sie?« Mulanow blickte entsetzt zu Milda hinüber. »Hast du das gehört, mein Täubchen? Er will einen der besessensten Spieler herausfordern! Warum nicht Spasski selbst, he? Werner Antonowitsch, Sie können so intelligent wie eine ganze Akademie zusammen sein … Sie werden in ein paar Stunden nie die Kunst des Schachspiels begreifen.«
    »Versuchen wir es, Mulanow. Sie kennen das Sprichwort von dem Ertrinkenden, der nach dem Strohhalm greift. Schach ist mein Strohhalm.«
    Es wurde wahrlich eine Quälerei.
    Mulanow hatte sein Schachspiel aus dem Schaffnerabteil geholt, wo Plotkin und Karsanow über ihrer Partie brüteten, die selbst einem Weltmeister die Hosen heruntergezogen hätte. Man hatte sich verrannt, aber keiner wollte sagen: Schluß! Remis!
    Und so saßen sie vor dem Brett, starrten auf die Figuren und strengten ihre Gehirne nach einem rettenden Zug an.
    »Karsanow ist ausgeschaltet!« verkündete Mulanow fröhlich. »Ich habe das Brett gesehen … da kommen die beiden nie wieder raus! Also, fangen wir an!«
    Er erklärte, was Schach ist, wie die Figuren heißen und wie sie laufen dürfen, und worauf es überhaupt ankam bei diesem königlichen Spiel, wie man es nennt.
    Dann begann die erste Partie, und Mulanow raufte sich die Haare. Er zeigte Forster, was er an seiner Stelle getan hätte und beendete die Partie rasch nach zehn Zügen mit Matt.
    Die zweite und dritte Partie war nicht anders … bei der vierten griff Milda ein und brachte Mulanow ins Schwitzen.
    »Ein Satansweib!« rief der Schaffner. »So unlogisch kann nur eine Frau ziehen!« Aber er gab zu, daß Milda gut spielte.
    »Ich habe oft mit meinem Vater gespielt«, sagte sie und lehnte sich an Forsters Schulter. »Wir hatten in Kargopow, in der Stolowaja, richtige Schachturniere. Einmal hat Vater ein Schwein gewonnen! Ein ganzes lebendes Schwein! Ich saß hinter ihm und habe ihm einige Züge zugeflüstert. Damals war ich zehn Jahre alt …«
    »Sage ich es nicht? Ein Teufelsbraten, diese Milda! Spaltet Männern den Kopf und spielt Schach wie ein Meister! Los, Werner Antonowitsch, blamieren Sie sich nicht: Noch eine Partie! Aber allein …«
    Sie spielten die ganze Nacht hindurch. Karsanow und Plotkin anscheinend auch, denn es ließ sich keiner blicken.
    Am frühen Morgen erreichten sie Tschita, und kurz vor Einfahrt in den Bahnhof gewann Forster seine erste Partie gegen Mulanow. Die letzten entscheidenden Züge hatte ihm Milda zugeflüstert.
    »Das darf doch nicht sein!« knirschte Mulanow. »Ein Anfänger schlägt mich! Werner Antonowitsch, Sie hatten nur Glück! Nach Tschita spielen wir weiter!«
    Er rannte hinaus, um seinen Schaffnerdienst zu versehen. Der Zug fuhr langsamer, an Häusern vorbei, die aussahen, als ob sie aus einem Märchenbuch stammten. Dann kamen die neuen Viertel … modern, glatt, wesenlos, uniform. Betonklötze mit Fenstern.
    Und dazwischen immer wieder das alte Rußland: Bemalte Holzhäuser

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