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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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Reaths Fähre schoss über eine Landschaft voller Gebäude hinweg, die sich in Kratern und Rinnen zusammendrängten. Viele der Gebäude waren massiv, mit Mauern aus aufgeschäumtem Asteroidengestein auf Fundamenten, die tief in den Boden hinabreichten. Aber die Gebäude waren größtenteils dunkel und schmucklos; in ihren ungeschlachten Schatten brannten nur wenige Lichter.
    In einem Himmel voller Sterne hatte diese kleine Welt nicht einmal eine eigene Sonne. Doch wie Alia erfuhr, gab es hier tatsächlich viele verwaiste Welten, denn die Sterne standen so dicht beieinander, dass sie sich häufig gefährlich nahe kamen oder sogar zusammenstießen und Planeten oftmals von ihren Muttersystemen weggerissen wurden.
    Aber dieses namen- und heimatlose Fragment hatte seine eigene Geschichte. Unter Einsatz gewaltiger Energien war es in eine Munitionsfabrik verwandelt worden, die man dann mittels noch gewaltigerer Energien wieder dem Erdboden gleichgemacht hatte. In die Überbleibsel jener längst vergangenen Tage waren die modernen Gebäude hineingesetzt worden, so massive und stabile Konstruktionen, dass der Asteroid der Erosion wahrscheinlich eher zum Opfer fallen würde als sie und die klotzigen Gebäude irgendwann davondriften würden.
    Und nun waren diese einst dem Töten geweihten Gebäude zu Tempeln eines neuen Gottes umfunktioniert worden.
    Als die Fähre zum Boden des Asteroiden hinuntersank, fühlte sich Alia zunehmend unwohl. Mit ihrer neuen Fähigkeit, Dinge außerhalb der Grenzen ihres eigenen Bewusstseins erlauschen zu können, griff sie zaghaft hinaus. Sie konnte die leuchtenden geistigen Wesenheiten der Campocs sehen, die ihr jetzt offen standen, und sie spürte deren starke Emotionen so deutlich, als wären es ihre eigenen – ihre Befürchtungen, weil sie nun hier waren, ihre seltsamen, komplexen Sorgen bezüglich der Erlösung und ihre verworrenen Schuldgefühle wegen ihres Umgangs mit Drea. Im Vordergrund waren auch die geistigen Wesenheiten von Reath und Drea. Sie blieben ihr weitgehend verschlossen, wie silberne Kugeln, die in ihrem mentalen Himmel schwebten; Alia würde einige Zeit brauchen, um ihre Fähigkeiten auszubauen, bevor sie in den Geist von Nichtadepten schauen konnte.
    Und hinter all dem gewahrte sie ein gewaltigeres, aufkeimendes, konfuses Getöse. Es war, als schrien zehntausend Stimmen zugleich, wobei ihre Worte zu einem sinnlosen, donnernden Brüllen verschmolzen, das dem Geräusch ans Ufer schlagender Wellen glich. Dies war die Transzendenz, das wilde Durcheinander vieler miteinander verbundener geistiger Wesenheiten.
    Sie zuckte zurück und versuchte alles auszuschließen, was jenseits der Mauern ihres Kopfes lag.
     
    Die Fähre ging am Rand einer kleinen und sehr stillen Ortschaft herunter. Niemand war zu sehen. Und nach der Landung kam niemand, um sie zu begrüßen.
    Sie stiegen aus der Fähre und machten einen Spaziergang. Es war ein seltsames Erlebnis. Diese ramponierte Welt war sehr klein, und ihr Horizont lag so nah wie die Krümmung eines Hügels; binnen ein paar Tagen hätte man um sie herumlaufen können. Die Schwerkraft war künstlich und fühlte sich auch so an; Alia spürte eine Klumpigkeit, subtile Diskontinuitäten, als sie aus dem Einflussbereich eines Higgs-gesteuerten Trägheitsfelds in ein anderes wechselte. Selbst die am vollen, dunkelblauen Himmel verstreuten Wolken waren künstlich geformt und ordentlich. Lampen schwebten im Windschatten von Gebäuden, um Schatten zu vertreiben.
    Es war ein trister, schäbiger Ort. Die Behausungen waren ohne viel Gefühl für Schönheit, Eleganz oder individuellen Stil in die uralten Ruinen gesetzt worden – hier hatte nur Funktionalität gezählt. Und genau wie auf der Rostkugel war nirgends ein Kunstwerk zu sehen.
    Sie stießen auf Menschen, aber diese schenkten ihnen keine Beachtung.
    Von den Kindern aufwärts trug jeder Kleider von der öden Uniformität maschineller Fertigung. Sie kamen an einer Art Refektorium vorbei, einem öffentlichen Speiseraum. Einige wenige Leute bereiteten sich ihre eigene Mahlzeit zu, wie es schien. Überall war es still und leblos. Niemand schien auch nur ein Wort zu sagen.
    In einem flachen Krater voller Schutt spielte eine Gruppe von Kindern ein Spiel mit Schlägern und einem Ball. Sie rannten herum, warfen und fingen und verausgabten sich, bis sie schwitzten. Aber ihre Gesichter waren leer, und man hörte weder Rufe noch Gelächter; niemand klatschte, niemand schimpfte über verlorene Bälle und

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