Transzendenz
die überall herumlagen… es war Übelkeit erregend und widerwärtig.« Sie wandte sich zu mir; ihr Körper blieb reglos, nur ihr Kopf drehte sich wie der einer Eule. »Dein Gespenst. Morag. Ist sie böse, Michael?«
»Nein«, sagte ich überzeugt. »Was immer sie sein mag, böse ist sie nicht.«
Sie schien sich unmerklich zu entspannen. »Gut. Zumindest das bleibt uns also erspart. Dann müssen wir eine andere Erklärung, eine andere Deutung finden. Vielleicht bist du ein Nekromant in dieser Hauptstadt der Nekromantie, Michael; vielleicht bist du ein Mann, der mit Geistern spricht, um die Zukunft zu erkennen – was glaubst du?«
Ich glaubte, dass ich noch ein Glas von diesem Meerwasserwein brauchte.
Rosa hatte mir versprochen, mir am nächsten Tag die Sehenswürdigkeiten von Sevilla zu zeigen. Wir würden La Giralda ersteigen, einen mitten in einer gotischen, christlichen Kathedrale gestrandeten maurischen Turm, und uns die Stadt ansehen. Oder, noch besser, vielleicht in der Sonnenuhr nach oben fahren, dem Symbol von Spaniens bedeutendster Exportindustrie, der Strom- und Energiebranche. Ich fand es interessant, dass Rosas Ideen für einen Tagesausflug allesamt den Besuch hoch gelegener Orte beinhalteten. Sie suchte Isolation und Höhe, offenbar ein Kontrast zu ihrem seltsamen früheren Leben, das, soweit ich es herausfinden konnte, in übervölkerten Katakomben tief unter der Erde stattgefunden hatte.
Ich freute mich jedoch darauf, die Sonnenuhr zu sehen. Sie war ein tausend Meter hoher Solarenergieturm, der sich aus vielen glänzenden, hektargroßen Solarzellenfarmen erhob, ein modernes Wunder. An seinem Fuß erhitzte Luft stieg im Turm nach oben und trieb Turbinen an. Es war eine schlichte, wenn auch schrecklich ineffiziente Konstruktion – aber wen kümmerte Effizienz, wenn es das Sonnenlicht umsonst gab?
Letztlich gingen wir jedoch nirgendwohin, denn der nächste Tag war ein »Staubtag«.
Nicht lange nach Anbruch der Morgendämmerung wurde ich von einem Verkehrslärm geweckt, was mir nicht ungewöhnlich erschienen wäre, wenn ich ihn nicht hier gehört hätte. Ich schaute durch die geschlossenen Balkonfenster nach draußen und sah Roboterlastwagen durch die Straße rollen und Wasser verspritzen. Lautsprecher verkündeten Warnungen in präzisem, abgehacktem Spanisch. In mittlerer Entfernung verbarg ein orangeroter Dunst die gesamte Skyline, und die aufgehende Sonne war eine fahle Scheibe, die nur schwache Schatten aufs leere Straßenpflaster warf. Wir würden den ganzen Tag über wahrscheinlich nicht aus dem Haus kommen, sagte Rosa.
Wir frühstückten. Ich saß am geschlossenen Fenster, trank eine Tasse Kaffee aus entsalztem Meerwasser nach der anderen und sah mir den Sturm an. Der Staub wurde von einem Wind aus dem Norden herangetragen, aus dem ausgetrockneten Inneren der Halbinsel, der die letzten Mutterbodenreste des Landes ins Meer wehte. Als er uns traf, versanken wir in Dunkelheit. Selbst am Tag darauf hing der Staub noch immer über der Stadt. Eingesperrt in Rosas Wohnung, hörten wir das Summen von Flugzeugen. Sie besäten Wolken über den Wasserspeichern, sagte Rosa, sprühten flüssigen Stickstoff und Silberiodid, um etwas Regen herbeizuzaubern. Rosa war zynisch. Sie sagte, die Flugzeuge seien nur ein Trick, um die Bevölkerung zu beruhigen und ihr zu zeigen, dass die Regierung etwas unternahm. Regionalwahlen stünden bevor, sagte sie; deshalb besäten sie die Wolken.
Manchmal wurde es so dunkel, dass ich mich wie am Meeresgrund fühlte. Ich schaute zu den Wellen hinauf; sie sammelten und brachen sich an der Oberseite der Staubschicht, welche die Stadt überwältigt hatte, riesige Wellen, die sich zwischen Erde und Himmel türmten.
27
Auf dieser Transzendentenwelt gab es keine richtige Nacht. Während ihre Schwester in der Nähe tief und fest schlief, fand Alia, eingeschlossen in die lichtundurchlässig gemachten Wände ihrer Kabine, keine Ruhe. In der stillen Dunkelheit, ohne jede Ablenkung, fiel es ihr noch schwerer, dieses nicht enden wollende Getöse außerhalb ihres Kopfes zu verdrängen.
Doch während sie zwischen Schlaf und Wachen schwebte, fand sie schließlich, was sie hier entdecken sollte.
Es war wie ein Traum. Sie war sich ihrer selbst bewusst, wie sie bequem auf ihrer Matratze lag. Sie wusste sogar, dass ihre Schwester noch in der Ecke des Raumes ruhte, ihr Körper eine warme Masse, ihr Geist in sich zusammengefaltet.
Aber das Körnchen Bewusstsein, das
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