Transzendenz
gemessen hatte. Mein gelegentliches Gefühl, dass Morag irgendwie realer war als ich und der Rest meiner Welt, schien sich zu bestätigen. Aber Geas Sensoren hatten nur Fleisch und Blut und Knochen entdeckt, und es war nicht klar, welche Form Morags unsichtbare Masse annahm.
Trotz Morags intensiver Realität verfügten die Sensoren über keine deutliche Aufzeichnung, woher sie gekommen oder wohin sie verschwunden war. Es war, als hätten die zahllosen künstlichen Augen einfach den Blick abgewandt, und weg war sie gewesen.
Während Geas Vortrag beobachtete Rosa Tom aufmerksam. Seine Reaktionen, seine emotionale Verfassung schienen sie zu faszinieren. Seine Miene war ausdruckslos, aber selbst das sprach Bände, dachte ich.
Schließlich sagte sie: »Was immer wir von alledem halten, eines ist klar. Die Erscheinungen sind jetzt ein Bestandteil unserer konsensuellen Realität. Michael mag tatsächlich verrückt sein, aber wir können seine Erlebnisse nicht mehr auf diese Weise wegerklären.«
»Danke«, sagte ich warm.
»Also, ich persönlich finde das einschüchternd«, sagte Sonia. »Ich habe Angst.«
»Ich auch«, sagte Shelley. »Es ist eine Gespenstergeschichte, die plötzlich wahr wird.« Aber sie klang nicht ängstlich oder besonders eingeschüchtert, und Sonia ebenso wenig; sie klangen neugierig. Ich war beeindruckt von ihrer inneren Widerstandskraft, der Widerstandskraft einer Soldatin und einer Ingenieurin. Es waren wohl nicht nur ihre Berufe, die ihnen solche Kraft verliehen, sondern es war eine tiefere Robustheit der menschlichen Psyche. »Es gibt keinen Grund, Angst zu haben«, sagte ich. »Wenn wir uns von seltsamen Dingen ins Bockshorn jagen ließen, würden wir immer noch mit den Hyänen draußen in der Savanne um Gazellenknochen kämpfen. Wir kommen damit schon klar…«
Tom drehte sich zu mir um. »So ein Quatsch! Das ist mal wieder typisch für dich, Dad. Womit wir hier klarzukommen versuchen, ist meine Mutter. Oder vielmehr ein Wesen, das wie meine Mutter aussieht. Und das Einzige, was dir dazu einfällt, ist so ein dämliches Aufmunterungsgeschwätz über unseren Weg aus Afrika.« Seine Stimme war beherrscht, aber schrill.
»Wir alle brauchen Methoden, um damit fertig zu werden, Tom«, sagte Rosa ruhig. »Du musst deinen eigenen Weg finden, so wie dein Vater seinen. Dies ist eine Realität, die Michael schon seit einiger Zeit akzeptiert hat, glaube ich. Aber jetzt ist es plötzlich auch für dich real. Du warst sogar imstande, dich deiner Mutter zu nähern…«
»Es war nicht meine Mutter«, fuhr er sie an.
Rosa nickte. »Also schön. Du warst imstande, dich der Erscheinung zu nähern, sie genau zu betrachten, wie es mir in Sevilla nicht möglich war. Was hast du dabei empfunden?«
Tom wollte nicht antworten. Er warf mir einen bösen, herablassenden Blick zu.
Was mich betraf, so glaubte ich ehrlich, dass diese Erscheinung auf irgendeiner Ebene Morag war; sie war es wirklich. Das hatte ich immer geglaubt. Was also sollte ich empfinden? Ich hatte das nie gewusst, schon bei den ersten Erscheinungen in meiner Kindheit nicht. Meine Reaktion bestand in dem Versuch herauszufinden, was es damit auf sich hatte, mir einen Reim darauf zu machen. Aber vielleicht war ich der Schwache; vielleicht war die wahrhaft starke Reaktion tatsächlich die von Tom, sein verzweifeltes Schluchzen auf der Ebene; vielleicht löste die Realität dieser Wiederkehr, ihre Seltsamkeit, bei ihm Gefühle aus, zu denen ich nicht fähig war.
Shelleys Hand kroch über meine.
Rosa hatte ihre Untersuchungen auf Morags Monolog konzentriert. Sie spielte uns ein Stück daraus vor. Erneut schwebte ein körperloser Kopf über unserer Tischplatte; erneut sah ich dieses schöne Gesicht, diese vollen Lippen. Aber Morag sprach seltsam und schnell, eine Kette von Silben, die zu rasch aufeinander folgten, als dass man sie unterscheiden konnte; ihre Zunge schnellte zwischen den Lippen hin und her.
Rosa fror das Bild ein. »In diesem Signal ist keine bekannte menschliche Sprache zu entdecken. Und dennoch können wir eine Struktur erkennen…« Sie erklärte uns zu meiner nicht gelinden Überraschung, die Erforschung nichtmenschlicher Sprachen sei eine florierende Disziplin.
Sie hatte ihren Ursprung in Fragen zur Kommunikation unter Tieren gehabt. Die Lieder der Wale, das Pfeifen der Delfine waren nahe liegende Fallstudien, aber das galt auch für das Brüllen und Kreischen von Schimpansen und Affen, das Stampfen der Elefanten –
Weitere Kostenlose Bücher