Transzendenz
er hatte mich behandelt, als wäre ich ein Kind, wenn Sie wissen, was ich meine, und das war nicht unbedingt das Richtige, auch wenn ich damals ja wirklich ein Kind war. George hingegen behandelte mich wie einen jungen Ingenieur; er nahm mich ernst.
»Das hat eine große Rolle gespielt. Für mein ganzes Leben.«
George nickte nur; er wusste, dass dies gesagt werden musste. Er klopfte mir auf die Schulter. »Ich schätze, aus dir wäre nie ein Steve Zodiac geworden. Aber du hättest einen guten Matthew Matic abgegeben.«
»Wen?«
»Fireball XL5… Auch so etwas, was zusammen mit mir aus dieser Welt verschwinden wird. Nicht so wichtig.«
George wurde allmählich müde, deshalb rief ich einen Kapselbus, und wir fanden eine Bank und setzten uns. Wie er so schwer atmend dasaß, fand ich, dass er zum ersten Mal während meines Besuchs krank aussah. Ich glaubte, den Schädel unter der Haut sehen zu können; die Haut unter den Wangenknochen war straff gespannt, die Lippen waren nach innen gezogen, die Augenlider – vielleicht vor Schmerz – gefältelt. Eine Reihe moderner Häuser mit leeren Wänden, augenlos ohne Fenster, ragte gleichgültig vor uns auf.
Zu meiner Überraschung erklärte George, er erwäge, sein Haus zu verkaufen und ganz aus England wegzuziehen.
»Ich will zurück nach Amalfi«, sagte er. Eine kleine Stadt an der sorrentinischen Küste Italiens. »Ich bin dorthin gegangen, nachdem ich in Rom gewesen war, weißt du, nachdem ich mich auf die Suche nach Rosa gemacht hatte. Als ich sie gefunden hatte, brauchte ich ein bisschen Zeit, um mich zu erholen, um wieder zu mir zu finden. Da unten ist das Wetter immer noch besser als hier. Ich weiß, es wird schwer sein, das Haus loszuwerden. Zum Teufel, es wird fürchterlich sein, noch mal fliegen zu müssen. Aber ich glaube, dass ich mich dort ausruhen kann, weißt du? Das war Amalfi immer für mich: ein Ort, an dem ich mich ausruhen konnte.«
Vielleicht stimmte das. Vielleicht wollte er aber auch einfach nur ein kleines Stück näher bei Rosa sein, der verlorenen Schwester, die er erst so spät wiedergefunden hatte.
Dann kam der Kapselbus zügig heran, und sein leises Zischen war wie eine ferne Erinnerung an den Lärm der monströsen Verkehrslawinen, die sich einst in diese Richtung ergossen hatten.
Als ich aus der VR herauskam, war es in Alaska früher Morgen. Ich machte ein Nickerchen, duschte, aß etwas und arbeitete ein paar Stunden.
Dann rief ich John an. Wir hatten es uns angewöhnt, regelmäßiger miteinander zu sprechen, nachdem die Sache mit George über uns hereingebrochen war. Es schien uns das Richtige zu sein.
Wie vorauszusehen, hielt John einen Umzug nach Amalfi für eine schlechte Idee. »Das wird ihn umbringen«, erklärte er unumwunden. »Was soll das? Er verschwendet seine Zeit und sein Geld.«
»Er stirbt sowieso, John! Jetzt, wo er sich diese Idee in den Kopf gesetzt hat, hat er ein Ziel, einen Plan. Er hat etwas zu tun, er muss Vorkehrungen treffen. Was soll er denn sonst mit seiner Zeit anfangen, sein eigenes Grab ausheben? Und was das Geld betrifft, so hat er mehr als genug, wenn er das Haus verkauft. Er verlangt nichts von uns, John. Lass ihn tun, was er will.«
John, eine VR mit massigen Schultern, die in meinem Hotelzimmer in Deadhorse aufragte, zuckte die Achseln. »Okay. Ich bezweifle ohnehin, dass wir ihn daran hindern könnten.«
Wie so oft, vergriff sich John bei seinem Umgang mit Georges Krankheit ein wenig im Ton, jedenfalls für meine Ohren. Ich wusste es zu schätzen, dass er tief in die Tasche griff, um uns alle in prachtvollem, immersivem VR-Detail wieder zu vereinigen, aber er hatte auch die Gewohnheit, uns permanent daran zu erinnern, dass er es tat. Ihm mangelte es in solchen Situationen immer an etwas, als empfände er nicht ganz dasselbe wie wir anderen. Ich wollte ihm nichts von alledem sagen, aber er las etwas davon in meinem Gesicht, glaube ich. Ich war ohnehin schon schlecht gelaunt und erschöpft und legte keinen Wert auf einen Streit. »Ich habe ihm versprochen, morgen wiederzukommen. Das heißt, heute Abend. Ich glaube, er will mit mir noch über etwas anderes reden.«
»Schön. Ich sage dem Service Provider Bescheid.«
Ich stand auf, um die Verbindung zu unterbrechen. Aber John blieb auf seinem grob skizzierten Stuhl sitzen und beobachtete mich.
Ich setzte mich wieder. »Ist noch etwas?«
Er funkelte mich an. »Ich wüsste gern, ob du noch mal über die andere Sache nachgedacht hast.« Damit
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