Transzendenz
Menschheit gelungen, zu überleben und eine Galaxis zu besiedeln, gerade weil Alia und ihresgleichen die Zeitschleifen von der Vergangenheit zur Zukunft geschlossen haben.«
»Das klingt wie ein Zeitparadoxon.«
»Alia ist eine Zeitreisende aus der Zukunft. Allein schon ihre Anwesenheit hier muss unser aller Leben durcheinander bringen und die Zukunft bereits verändern, und dennoch ist sie hier. Was kann noch paradoxer sein?«
»Vielleicht hast du Recht. Aber das hilft uns momentan nicht viel weiter, oder?« Ich stand auf und marschierte im Zimmer auf und ab. Meine Gedanken waren wirr und unbefriedigend. »Die ganze Sache kommt mir so altmodisch vor. Willkommen, o Besucherin aus dem unglaublichen Jahr fünfhunderttausend!… Das ist ein Traum der 1940er Jahre.« Vermutlich dachte ich wieder an George und den Haufen zerfallender Science-Fiction-Romane, die er mir geschenkt hatte.
»Diese Träume waren ein Produkt ihrer Zeit«, sagte Rosa. »Das zwanzigste Jahrhundert war die Ära der billigen Energie und des technologischen Optimismus. Deshalb hegten wir expansive, progressive Träume. Jetzt wenden sich die Menschen nach innen. Den Kindern bringt man es bei – all diese Selbstbeobachtungskurse in der Schule! Wir leben in einer Zeit der Einschränkungen, in der man nicht zu träumen wagt, dass die Dinge anders sein könnten, denn jede andere Möglichkeit scheint noch schlimmer zu sein als der Status quo.
Aber tief im Innern wissen wir, dass etwas fehlt. Wir sind eine Gattung, die in der Vergangenheit ungeheure Schicksalsschläge überstanden hat – gewaltige klimatische Umwälzungen, riesige Naturkatastrophen, Seuchen und Hungersnöte, den Aufstieg und Fall von Weltreichen. Wir sind von solchen Ereignissen geprägt worden. Selbst wenn wir es nicht merken, sehnen wir uns nach dem Epischen, dem Apokalyptischen. Und jetzt hat uns das Epos gefunden. Oder vielmehr, es hat dich gefunden, Michael.« Wie immer sprach sie ruhig, aber ihr Ton war warm.
»Du meinst, ich soll sie zurückholen?«
»Natürlich. Was denn sonst? Du musst das klären, Michael. Aber du brauchst ihr gegenüber nicht demütig zu sein.«
»Demütig?«
»Sie ist mit ihren eigenen Absichten, ihren eigenen Plänen hierher gekommen. Aber wir brauchen diese Pläne nicht zu akzeptieren.
Vielleicht hat sogar Alia ihre Grenzen. Wir wissen jetzt so viel mehr, als ich es mir in meiner Kindheit in den 1960er Jahren je hätte vorstellen können. Und Alia, die uns eine halbe Million Jahre voraus ist, weiß bestimmt noch viel mehr. Aber was ist mit den tiefschürfendsten Themen? Weiß sie, wieso überhaupt etwas existiert und nicht nichts? Gegenüber solchen Fragen erscheinen die Details kosmologischer Entwicklungen ziemlich belanglos, findest du nicht? Und wenn wir Fragen stellen können, die sie nicht beantworten kann, dann sind Alias Leute trotz ihrer umgemodelten Brustkörbe und ihrer außerirdischen Symbionten vielleicht nicht klüger als wir.« Ihre Augen glitzerten hart, wissend, skeptisch.
In dieser Nacht, allein in meinem Zimmer, rief ich sie. Es war ein absurdes Gefühl, auf meinem Bett zu sitzen und den Namen eines Geschöpfs zu rufen, das erst eine halbe Million Jahre, nachdem meine Knochen zu Staub zerfallen waren, geboren werden würde, falls es überhaupt jemals existierte.
Dennoch kam sie. Es gab keine Spezialeffekte, keine Blitze, Donnerschläge oder Lichtstrudel. Im einen Moment war sie nicht da, im nächsten war sie da, ein Teil meiner Realität, so massiv wie das Bett in meinem Zimmer, der Tisch oder die Stühle. Trotzdem wirkte sie deplatziert. Mit ihrer leicht gebeugten Haltung und diesem langen zinnoberroten Fell, das von ihren Gliedmaßen hing, sah sie immer noch wie ein entflohener Affe aus. Aber sie lächelte mich an.
Sie schaute sich in dem Zimmer um, rieb mit einem Finger vorsichtig über eine Stuhllehne und versuchte, darauf Platz zu nehmen. Aber es war unbequem für sie, mit angezogenen Knien und zum Boden herabbaumelnden Armen. Deshalb sprang sie mit einem geschmeidigen, anmutigen Satz auf die Tischplatte und ließ sich in eine Art Lotosstellung nieder.
»Ich habe dich mein ganzes Leben lang beobachtet«, sagte sie, »aber ich weiß nicht viel über euer soziales Protokoll. Ist es in Ordnung, wenn ich auf deinem Tisch sitze?«
Ich zuckte die Achseln. »Es ist nicht mal mein Tisch.«
»Du hast mich gerufen«, sagte sie. Die Wärme in ihrer Stimme war unüberhörbar.
»Hast du geglaubt, ich würde es nicht
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