Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Stammbaum des Lebens verlinkt und vorläufig benannt wurde, konnte selbst ein nicht ausgebildetes Kind neue Arten »entdecken«. Und sobald die Information extrahiert war, brauchte man sich nicht mehr den Kopf über die Speicherung der langen, fragilen Molekülketten der DNA zu zerbrechen. Ich hatte gehört, dass heutzutage selbst Fossilien kaum noch eine Rolle spielten, verglichen mit der gewaltigen Flut von Daten und Interpretationen, die nunmehr direkt den Genen entsprang.
    Es war ein unheimlicher Gedanke, dass schon während des Dahinschwindens der Ökologie in der echten Welt eine gespenstische logische Kopie in der Abstraktion des Cyberspace zusammengebaut wurde. In einem sehr realen Sinn retteten Tom und seine Kinder wie auch ähnliche Freiwillige überall auf dem Planeten tatsächlich die Ökologie für die Zukunft.
    Das alles war mir in diesen schrecklichen Minuten jedoch vollkommen gleichgültig.
    »Okay«, sagte ich vorsichtig zu Tom. »Das ist ein achtbares Ziel. Aber es hätte dich fast das Leben gekostet.«
    Ich glaube, er fand es schmerzhaft, über den Vorfall zu sprechen; vielleicht hatte er so etwas wie einen leichten Schock. »Wir waren an der Küste. Ich und ein Dutzend Kinder. Ich war rund fünfzig Meter hinter ihnen und überprüfte ihre Datenströme, während sie Proben nahmen. Dann gab es eine Wasserfontäne.«
    »Eine Fontäne?«
    »Wie bei einer Unterwasserexplosion. Es sah wie in einem Zeichentrickfilm aus, Dad. Sie war bestimmt hundert Meter hoch.«
    »Eher zweihundert«, verbesserte Sonia trocken.
    »Zuerst standen die Kinder einfach nur da und machten große Augen. Ich schrie sie an, vom Meer wegzukommen. Einige rannten los, andere zögerten. Vielleicht waren sie zu sehr damit beschäftigt, die Fontäne zu beobachten. Ich hatte Angst, dass es Wellen geben könnte. Ich wusste nicht, was da los war; ich dachte, vielleicht ist es so eine Art Tsunami. Dann fiel der Schlamm vom Himmel. Es waren riesige Klumpen, Dad, und wenn sie einen trafen, tat es weh. Die Kinder fingen alle an zu schreien und rannten vom Meer weg, die Hände über dem Kopf.
    Dann sah ich, wie diejenigen strauchelten, die am weitesten unten beim Wasser waren. Sie fielen einfach um, als hätten sie beschlossen, sich schlafen zu legen.«
    »Und da bist du zu ihnen gelaufen«, sagte ich.
    »Ich war für sie verantwortlich. Was hätte ich sonst tun sollen? Ich hatte erst ein paar Schritte zurückgelegt, als ich diesen Gestank nach faulen Eiern roch…«
    »Methan?«
    »Ja. Und dann wusste ich, was passiert war.«
    Es war ein »Methan-Rülpser« gewesen. Er erzählte mir, dass es tief unter dem Meeresboden der Arktik riesige Lagerstätten eingeschlossener Gase gibt. Kohlendioxid-, Schwefelwasserstoff- und Methanmoleküle können in Käfigen aus Wassereiskristallen eingesperrt werden – Eis, das sich unter extremen Druckbedingungen gebildet hat, unter dem Gewicht des Meeres. Solches Zeug findet sich in Sedimenten überall in der Umgebung beider Pole, gewaltige Bänke aus Eis und komprimiertem Gas. Man glaubt, dass in diesen Lagerstätten ebenso viel Kohlenstoff eingesperrt ist wie in sämtlichen weltweiten Vorräten fossiler Brennstoffe zusammen. Bis zu diesem schrecklichen Tag in Sibirien hatte ich noch nie auch nur von ihnen gehört.
    Und bei über hundertfachem atmosphärischem Druck sind diese Gase sehr stark komprimiert. Jedem Ingenieur wäre klar, dass dies keine sonderlich stabile Situation ist. Wenn der »Deckel« von diesem Druckgefäß abgenommen wird – zum Beispiel durch das Schmelzen des Permafrosts –, wird der darin gestaute Druck freigesetzt, und es kann eine enorm starke Eruption geben.
    Ich durchdachte das Ganze. »Ein Einschluss dieser Gashydrate hat also nachgegeben. Das Kohlendioxid und das Methan sind heraufgeschossen. Kohlendioxid ist schwerer als Luft, deshalb sinkt es wieder auf die Wasseroberfläche herab und breitet sich aus…« Und erstickt alles, was ihm in den Weg kommt.
    Jeder kannte die Folgen einer Kohlendioxidflut. Vor zehn Jahren waren auf Kefalonia tausende bei einem Industrieunfall ums Leben gekommen, als ein Kohlenstoff-Sequestrierungs-Projekt schief gegangen war.
    Ganz plötzlich brach Tom zusammen. Er begrub das Gesicht in den Händen. »Ich konnte sie nicht alle rausholen. Der Methangestank hat mich zurückgetrieben. Und ich hatte eine Heidenangst, eine Heidenangst vor dem CO 2 . Ich konnte ihnen nicht helfen.«
    Mir blieb nichts weiter übrig, als wie erstarrt dazusitzen und

Weitere Kostenlose Bücher