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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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sein kann, glaube ich. Vermutlich die Stimme der Gene.
    Aber der Augenblick ging vorbei – viel zu schnell –, und Tom löste sich von mir. Ich wusste, dass wir uns aussprechen mussten, dass Worte wie Kugeln hin und her fliegen würden. Aber nicht jetzt. Noch nicht.
    Ich brachte ihn zum Hotel, checkte ihn ein und ließ ihn allein auf sein Zimmer gehen.
    Während Tom sich ausruhte, unternahm ich einen Spaziergang durch das alte Parkhaus. Es war enorm groß, eine Kathedrale unter den Parkbauten, mit zehn, zwölf Etagen; sogar auf dem Dach gab es Parkplätze. Man konnte von außen durch den offenen Betonbau hindurchschauen und das Tageslicht auf der anderen Seite sehen. Es glich einem riesigen Totenschädel aus Beton.
    Ich ging hinein, vorbei an Schranken, die nicht mehr hochklappten, an Zahlkabäuschen mit kaputten Scheiben und rostenden Ticketautomaten. Nur ein paar Plätze im Erdgeschoss waren von elektrischen Nutzfahrzeugen belegt, die sich an Steckdosen schmiegten. Die anderen Parkbuchten – alle noch immer mit verblassender weißer Farbe markiert und ordentlich nummeriert – waren auf melancholische Weise leer. Man hatte einen halbherzigen Versuch unternommen, das Hotel in diesen riesigen Bereich auszudehnen, die Umwandlung dann aber offenbar aufgegeben.
    Früher war man von Fahrstühlen und Rolltreppen in die oberen Etagen gebracht worden, aber sie funktionierten nicht mehr, und die Treppen rochen nach Feuchtigkeit und Fäulnis. Ich beschloss, die einst für die Autos gedachten Rampen hinaufzugehen. Es war ein langer, steiler Weg durch diese gargantuanische Architektur, erschöpfend für einen kleinen Sterblichen.
    Auf dem Dach war es windig, und ich trat vorsichtig an den Rand. Ich schaute auf den Flughafen hinaus. Die Start- und Landebahnen waren ordentliche, schnurgerade Streifen, umgeben von den ausgedehnteren Straßenflächen. Als ich dort auf dem Dach dieses Parkhauses stand, war ich der einzige Mensch weit und breit, in Quadratkilometern von Beton und von Gummi und Öl beflecktem Asphalt, der sich nun graugrün färbte und zerbröckelte. Die Autos und Flugzeuge waren verschwunden, und ich war übrig geblieben; und der Wind trug nicht den alten, kompakten Gestank von Benzin und Gummi heran, sondern den scharfen Geruch von Frühlingsgras. Eines Tages würde auch das Parkhaus verschwinden. Die kleinen, blinden Dinge der Natur fraßen sich bereits ins Gefüge des Betons. Irgendwann würde der Zerfall die Drähte erreichen, die diese Spannbetonkonstruktion zusammenhielten, und wenn sie nachgaben, würde der ganze Bau explodieren und Betonstaub verstreuen wie Löwenzahnsamen.
    Ich drehte mich um, ging die riesigen Ausfahrtrampen hinunter und kehrte ins Hotel zurück.
     
    Tom schlief oder duschte – was auch immer – zwölf Stunden lang. Dann rief er mich über mein Implantat an. Ich ging zu ihm aufs Zimmer.
    Er saß in einem abgegriffen aussehenden Hotelbademantel im einzigen Sessel des Zimmers und schaute Nachrichten, die leise von einer Wand perlten. Irgendwann im Verlauf seines kurzen Krankenhausaufenthalts waren ihm die Haare geschoren worden. Er wirkte ausgezehrt und krank; wahrscheinlich sah er schlechter aus, als es ihm ging. Er hatte einen Aspirator in der Hand, das einzige sichtbare Zeichen einer fortdauernden medizinischen Behandlung.
    Ich setzte mich aufs Bett, und er reichte mir einen Whisky aus seiner Minibar. Es war Mitternacht, aber unsere Körperuhren gingen beide falsch. Wenn sonst niemand da ist, schafft man sich seine eigene Zeit.
    Da saßen wir nun nebeneinander, in einem fremden Land, auf neutralem Gebiet.
    »Wir müssen reden«, sagte ich zaghaft.
    »Ja, ganz recht.« Es klang wie ein Knurren. Er beugte sich vor und tippte gegen die Wand.
    Zu meiner Überraschung erschien ein Bild der Kuiper-Anomalie. Es war ein Tetraeder, ein stahlblaues Gerüst, das sich langsam drehte. Hin und wieder fing eine der Seiten das Sternenlicht ein und blitzte schillernd auf, als spannten sich Seifenfilme über den Rahmen.
    »Was ist das?«
    »Ich hab mich in deine Arbeitsprotokolle gehackt, Dad. Wollte mal sehen, was du in den letzten Tagen so getrieben hast.«
    »Du hast schon immer deine Hausaufgaben gemacht«, sagte ich.
    »Immer noch der alte Scheiß, stimmt’s? Raumschiffe und Außerirdische.«
    Ich verschränkte die Arme – ich weiß, eine defensive Geste, aber er war sofort zum Angriff übergegangen. »Wie kannst du das als Scheiß bezeichnen? Schau dir dieses Ding an. Es ist offensichtlich

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