Transzendenz
natürlich nicht mehr meins, auch wenn es keinen exakten Zeitpunkt gab, an dem es aufgehört hatte, mir zu gehören. Ich hatte einfach immer seltener hier übernachtet. Irgendwann hatten meine Eltern dann eine Entscheidung treffen müssen, was sie damit machen wollten, und das hatten sie getan, ohne mich zu fragen.
Nun, sie hatten es völlig umgemodelt. Mein Dekor aus der Zeit der technischen Spielereien um die Jahrhundertwende war jenem pseudonaturalistischen Stil gewichen, der in den zwanziger Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts so beliebt gewesen war, mit einer Wandverkleidung mit Bambus-Effekt und einem weichen grünen Kunstrasenteppich. Bevor ich angefangen hatte, an der kommerziellen Entwicklung der Higgs-Energie zu arbeiten, war ich technischer Berater in der Atomkraftindustrie gewesen und hatte in vielen Hotels gewohnt. Dieser Dekorationsstil war allgegenwärtig gewesen, endlose Tapetenbahnen mit tropischen Papageien und Bodenbeläge mit Krokodilledereffekt, die anonyme Betonblocks in Warschau, Vancouver oder Sydney zierten. Es kam mir so vor, als betrauerten wir den Verlust des Grüns, noch während das Artensterben es überall um uns herum rasant verschwinden ließ.
Ich warf meinen Rucksack aufs Bett und öffnete die Wandschränke auf der Suche nach einer Möglichkeit, meine paar Hemden aufzuhängen. Die Schränke waren jedoch bis obenhin voll. Den meisten Platz nahmen die Kleider meiner Mutter ein. Ihr Stoff fühlte sich brüchig an; die Sachen waren sehr alt und nur selten getragen worden.
Aber ich fand auch noch einiges übrig gebliebene alte Zeug von mir. Keine Kleidungsstücke: Die waren zweifellos im Schlund der Wohlfahrt verschwunden, und meine alten T-Shirts und Hosen schmückten jetzt vielleicht ein Flüchtlingskind aus dem überschwemmten Bangladesh oder dem von der Dürre heimgesuchten Ägypten; es war ein Zeitalter der Flüchtlinge, und es herrschte großer Bedarf an Kleidung. Aber da waren Computerspiele, Bücher und ein paar meiner schickeren Modelle, zum Beispiel das riesige Mobile der Internationalen Raumstation; früher hatte es über meinem Bett gehangen, jetzt war es fein säuberlich demontiert und in Blasenfolie eingepackt. Einige Spielsachen hatten überlebt, hauptsächlich Filmfiguren aus Plastik und Spritzgussmodelle, die sorgfältig in ihren Schachteln verstaut waren.
Aus meiner Sicht war es eine eklektische Mixtur; Eltern, die den Plunder ihrer Kinder sichten, sind ein willkürlicher Filter. Anscheinend hatte meine Mutter Gegenstände ausgewählt, die keinen sentimentalen Wert besaßen, sondern vielleicht irgendwann einmal Geld bringen würden; ein Spielzeug überstand die Auslese nur, wenn es in gutem Zustand war und sie die Verpackung finden konnte. Natürlich waren diese perfekt erhaltenen Auktionskandidaten aber genau die Spielsachen, mit denen ich am wenigsten Zeit verbracht hatte. Trotzdem, sie hatte ein gutes Auge dafür gehabt, was wertvoll war und was nicht. Viele der Computerspiele hätten gutes Geld gebracht; es gab eine ganze Industrie der Siliziumchip-Archäologie, und sie produzierte Interessenten für derlei Dinge, die etliche elektronische Generationen alt, aber für sentimentale Narren wie mich trotzdem wertvoll waren.
Ich stieß sogar auf ein Fossil, das der Selektion entronnen war, obwohl es keinen erkennbaren Wert besaß. Es war eine kleine Blechschachtel mit einem Schlitz, der sie zur Spardose umfunktionierte. Darin fand ich Zeitungsausschnitte, Sammelkarten und Internet-Printouts, die meist etwas mit dem Raumfahrtprogramm zu tun hatten, einen kleinen Lederbeutel voller Pennys aus dem Jahr 2000, lose Briefmarken, Fastfood-Aufkleber, Buttons von Werbekampagnen für Fernsehsendungen und ein winziges Reiseschach, mit dem ich meinem Bruder das Spiel beigebracht hatte, spät nachts, wenn wir eigentlich hatten schlafen sollen. All dieses Zeug war immer und immer wieder angefasst und gründlich studiert worden. Diese kleine Schachtel war eine Momentaufnahme meines zehn- oder elfjährigen Geistes, alles darin so klein und abgegriffen, dass es schon eine gewisse Ähnlichkeit mit fossilem Schmuck hatte. Aber es fühlte sich auch ein wenig unangenehm an, schmutzig von den vielen Berührungen. Ich hätte wahrscheinlich öfter an die frische Luft gehen sollen, dachte ich, schloss die Schachtel und stellte sie wieder auf ihr Bord.
Doch während ich das tat, wurde ich plötzlich von Traurigkeit überwältigt. Sie traf mich wie ein körperlicher Schlag, wie ein
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