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Trapez

Trapez

Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Leiter. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund. Plötzlich sagte er: »Pa ss auf – ich muss mich übergeben…« Und hatte gerade noch genug Zeit, zur Toilette im Umkleideraum zu gelangen. Mario folgte ihm und stand mürrisch daneben. Er warf ihm den nassen Waschlappen hin, um sein Gesicht abzuwischen.
    Tommy fühlte sich, als ob sein Innerstes herauskam. Als er endlich fertig war, hing er am Tresen und sagte durch eine klingende Leere hindurch: »Pa ss auf, ich lass’ es für heute lieber sein. Wenn ich jetzt noch mal raufgehe, werde ich noch mal fallen.«
    »Und wenn du es nicht tust, wirst du vielleicht nie wieder da raufgehen.« Marios Augen waren kalt und starr, und seine Hand auf Tommys Ellenbogen war nicht mehr länger stützend, sondern zwingend. »Wenn du auf deinen Kopf gefallen wärst, würde ich okay sagen, vielleicht hast du ‘ne kleine Gehirnerschütterung. Aber das bist du nicht. Also bedeutet das gottverdammte Kotzen überhaupt nichts, außer dass du eine Schei ß angst hast. Raus mit dir, verdammt noch mal, oder ich nehm’ dich auseinander.« Er gab ihm eine groben Stoß und plötzlich verstand Tommy.
    Er hatte gedacht, er sei jenseits von Angst. Er war insgeheim sehr stolz dara uf, weil er nie an der üblichen ›Panikstarre‹ junger Luftakrobaten gelitten hatte, sich nie an der Stange aus Angst vor dem Fall ins Netz festgehalten, nie plötzliche Nervenanfälle bekommen und wie ein Ertrinkender an den Seilen gehangen hatte. Jetzt erkannte er, dass er nach alledem nicht immun war; seine Panik hatte einfach eine spät ere, verzwicktere Form angenom men. In seinem früheren Mut lag keine Tugend. Er hatte einfach bloß keine Angst gehabt, das war alles. Aber jetzt hatte er sie. Mario konnte es sehen. Unter Marios sarkastischem Blick ging er bis zur bloßen Panik entblättert auf die Leiter zu, seine Füße tasteten beim Klettern.
    »Endlich«, sagte Liss sauer, als er die Plattform erreichte. »Guten Abend.« Sie wartete darauf, dass er ihr das Trapez reichte, schwang sich dann hinaus und posierte auf dem Trapez, ließ Angelo sie an ihren Knöcheln fangen. Tommy fing die zurückkehrende Stange unsauber und versuchte, sich auf den Moment zu konzentrieren, in dem Angelo Liss für den Rückschwung losließ . Dann warf er ihr die Stange zu. Liss fing sie, sprang neben ihm ab, und er fingerte nach dem losgelassenen Trapez, während sie schnell aus dem Weg ging.
    »Nimm die Stange schneller weg! Hör auf rumzufummeln«, rief Mario von unten. »O.k., Tommy, du bist dran.«
    Liss hielt die Stange ruhig, als er seine Daumen darauflegte. Angelo rief mit beißendem Sarkasmus, »sagst du mir vielleicht, wie du kommst?«
    »Überflug«, antwortete Tommy. Das war das einzige, das ihm einfiel.
    Mario zählte für ihn, was er seit Tommys Anfangstagen nicht mehr gemacht hatte. »… zwei, drei – los!« Tommy fühlte, wie das Trapez ihn nahm und hochwarf, als ob seine Muskulatur außer Kontrolle geraten wäre, und Marios Stimme klang Lichtjahre entfernt.
    »Zieh dich hoch – streck deine Füße aus – bleib so, bleib so – okay, los!« Tommy warf seinen Körper vorwärts über die Stange, und plötzlich waren seine Hände da, wo sie hingehörten. Er fühlte, wie Angelo seine ausgestreckten Handgelenke nahm, fühlte den Ruck und den Schmerz tief unter seinen Rippen, als sie zusammen schwangen. Aber er konnte den Rhythmus des Schwunges fühlen, ein Uhrwerk, wieder in seinem Kopf… als er sich für den Rückschwung umdrehte und sich ihre Handgelenke lösten. Er ließ sich durch den Schwung weitertragen, fand die umwickelte Stange unter seinen Händen und fühlte dann erleichtert die Plattform wieder fest unter seinen Fü ss en.
    »Schlimm, schlimm!« rief Mario. » Füße und Ellenbogen überall! Liss, hol d ie Stange schnell aus dem Weg –schieb sie nicht so zu einer Seite rüber! Das wollen wir noch mal sehen!«
    Nach zwei weiteren Versuchen gestattete Angelo Tommy hinunterzugehen und rief Mario für die Arbeit am Dreifachen herauf. Tommy ließ sich neben Johnny auf den Boden fallen, schlo ss die Augen und war froh über die stille, höfliche Übereinkunft, die ihn sich dort ausstrecken ließ und es ihm gestattete, so zu tun, als ob er schliefe. Er wollte nicht einmal Johnnys gutgemeintes Scherzen mit ansehen. Er fühlte sich verletzt und krank, und alles tat ihm weh. Als Mario und Angelo Feierabend machten, richtete er sich auf. Er erwiderte Marios kurzes »Okay, Lucky?« mit einem Nicken und ging dann

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