Trapez
Unaufdringlichkeit, so erkannte Tommy, war selbst eine hohe Form von Schaustellerkunst und Strategie.
Niemand aß vi el beim Abendessen. Am Ende der Mahlzeit stand Papa Tony für einen Moment auf und sah an dem langen Tisch entlang.
»Ich möchte euch sagen«, begann er, »was auch immer sich morgen herausstell en wird – Danke. Darum geht’s – wieder eine Familie zu sein. Wir waren einmal so viele wie jetzt. Nun sehe ich, dass wir alle wieder zusammen sein können, wie immer. Joe, Lucia – ihr habt mehr – was sagen die Leute in Ansprachen immer?« – er legte die Stirn in Falten und zögerte – »mehr als eure Pflicht getan.
Clay, Barbara – zu jung, um dieses Mal dabei zu sein, aber ihr seht, wozu ihr eines Tages gehören werdet. Ich will keine Rede halten. Ich sage nur eins: Heute Abend bin ich ein glücklicher Mann, ein sehr glücklicher Mann. Jahrelang bin ich nicht so glücklich gewesen. Morgen werden alle meine Kinder um mich herum sein. Alle meine Kinder – meine Söhne, meine Enkel – ja, auch meine Enkelinnen, Elissa«, fügte er sanft hinzu. »Glaub mir, ich weiß , dass es für dich in einiger Hinsicht am schwersten war. Und du, die auf eine besondere Weise zur Familie gehörst, Stella«, sagte er und seine Augen ruhten mit einer besonderen Zärtlichkeit auf dem blassen Mädchen in ihrem flammend roten Kleid, »ich wünschte, du könntest morgen bei uns sein; ich wünschte, dass dich Cleo sehen könnte. Und du, Tommy. Weil ich sehe, dass Mario dich gelehrt hat, wie ich meine eigenen Söhne gelehrt habe, und ich weiß , dass es jemanden gibt, der mir folgen wird, um – eine Tradition weiterzugeben, um andere das Fliegen zu lehren, wenn ich nicht mehr da bin.«
Angelo sagte heftig: »Das wird noch sehr lange Zeit dauern, Papa. Du solltest nicht so reden.«
»Nein?« Papa Tony sah Angelo an und lächelte. »Vielleicht hast du recht. Aber das habe ich ja gerade gesagt.
Leute – du und ich, Ang elo, wir kommen und gehen, aber dies – die Nummer, die Familie – das geht weiter, grö ss er als du, grö ss er als ic h, mehr als wir alle zusammen –stimmt’s?«
Er hob sein Weinglas und prostete ihnen feierlich zu.
Dann sagte er: »Morgen, Kinder – ich bin heute Abend stolz auf euch – la ss t mich morgen auch stolz auf euch sein. Ich meine nicht den Vertrag – vielleicht bekommen wir ihn, vielleicht nicht; das ist zum Teil Glück, zum Teil Geschäft. Gebt in jedem Fall euer Bestes. Wie heute Abend , und ich werde stolz auf euch sein, stolz auf euch alle, cari figli, cari fanciulli«. –Tommy sah ihn blinzeln und schlucken –»tutti, tutti –So, so, ich will keine Rede halten«, sagte er hastig und setzte sich wieder.
Als sie in ihrem Zimmer ins Bett gingen, sagte Mario:
»Na, was hältst du von Papa Tony und seiner Rede?«
Seine Stimme war rau , aber Tommy konnte durch sie hindurch hören, was Mario wirklich fühlte. Und antwortete so darauf wie Mario es sich nicht traute.
»Ich hätte heulen können.«
»Ja, ich auch. Dafür hat Papa gelebt. Er hätte bei den Fortunatis bleiben können, weißt du, als Joe und Lu ihren Unfall hatten – er würde immer noch die Hauptattraktion sein. Aber er hat Starr’s und die Manege verlassen, bloß um uns als eine Familie zurückzubringen, er ist bloß mit Angelo und Terry aufgetreten, dann mit Liss und mir, dann nur mit mir und Angelo, nachdem Liss geheiratet hatte, er hat bloß für ein Comeback gearbeitet. Ich hoffe von Herzen, dass wir es morgen schaffen. Seinetwillen.«
»Starr’s ist ein sehr großer Zirkus, Mario. Sie könnten jeden Fliegerakt der Welt bekommen.«
»Ich weiß , aber träumen schadet nichts.« Er kletterte ins Bett und räkelte sich schläfrig.
»Gut, dass er uns heute Nachmittag so geschunden hat, sonst wäre ich zu erregt zum Schlafen.«
Tommy wachte am nächsten Morgen erschrocken auf, als Johnny, ohne zu klopfen, hereinkam. Mario öffnete schläfrig seine Augen, aber bewegte sich nicht.
»Wer ist da? Jock?«
»Richtig! Wie seht ihr zwei süß aus!« Johnny trug einen alten geflickten Bademantel. Er war unrasiert, aber er war so blond, dass es kaum auffiel.
Mario rieb sich die Augen. »Wie spät ist es überhaupt?«
»Gegen sechs, glaube ich. Ich muss wohl langsam nervös werden – ich konnte schlecht einschlafen und bin vor einer Stunde aufgewacht. Ich hab’ vergessen, dass du den Jungen bei dir hattest.« Er setzte sich auf die Bettkante.
»Ich hab’ daran gedacht, wie wir alle unterwegs
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