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Trapez

Trapez

Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Netz auf, das Netz warf ihn wieder nach oben und dann zog es ihn wie Treibsand hinunter. Leblos ausgestreckt, gebrochen, tot… Tommy hörte, wie ihm sein eigener Schrei im Hals stecken blieb, aber dann schrie er heraus: »Mario! Mario! Hört mich denn keiner? Mario… Mario… Kommt schnell! Johnny!
    Papa Tony! Angelo! … Mario! Mario! … Er ist tot… Mario!«
    Aber es gab keine Antwort, kein Geräusch im Übungsraum, nichts als seine eigenen Schreie, die von den Wänden widerhallten und auf dem Bildschirm Marios Umrisse in scheußlicher Nahaufnahme, gebrochen, ausgestreckt, unbeweglich… Seine Schreie waren nicht zu hören, waren nie zu hören gewesen, waren nie dagewesen, wurden nie ausgestoßen . Es war dunkel, und er saß kerzengerade im Bett und machte keuchende, jammernde Geräusche.
    »Tommy«, sagte Mario verwirrt neben ihm. »Was ist los, Junge? Stimmt was nicht?«
    Langsam merkte Tommy in der plötzlichen Dunkelheit und Wärme, dass nichts davon passiert war. Es gab keinen TV-Monitor. Mario war nicht wider besseres Wissen zu einem Dreifachen mit Johnny überredet worden. Die schreckliche Folge von Drehen und Fallen, und Fallen und Fallen, nichts davon war echt gewesen. Ein Traum, Gott sei Dank, bloß ein Alptraum. Er keuchte immer noch durch die ausgestoßenen , unterdrückten Schreie im Schlaf, aber jetzt war er überwältigt von der überflutenden Wahrnehmung, dass Mario hier an seiner Seite war – sicher, unverletzt, warm, atmend, lebendig. Er klammerte sich in der Dunkelheit an Mario, und sein Atem zitterte immer noch durch die Schreie seines Traums.
    »Lucky«, sagte Mario und seine Arme legten sich besorgt um ihn. »Was ist los, Junge? Was ist passiert?«
    Aber Tommy konnte bloß keuchen: »Du bist hier, du lebst, du bist nicht tot…«
    »O Gott«, sagte Mario und zog ihn fest an sich. »Einer von diesen Alpträumen. Tommy, Tommy, es ist in Ordnung. Dir geht es gut. Du bist hier bei mir… Komm, komm, es ist gut. Krieg dich wieder ein… Du bist hier bei mir…«
    Tommy lag in seinen Armen und fühlte seinen warmen Atem, fühlte ihn wunderbar lebendig, warm, unverletzt, fühlte wie sich das schwere Keuchen in seiner Brust zu langen, schluchzenden Atemzügen entspannte. Alles, was er verwirrt sagen konnte, war: »Ich dachte, ich war unten – da war ein Fernsehbildschirm –, du lagst tot da…«
    »Okay, okay, es ist gut«, beruhigte ihn Mario und hielt ihn fest. »Du bist hier, du bist jetzt wach, du bist hier bei mir. Hier, du verkühlst dich noch. Komm unter die Decke. Komm, ich will dich aufwärmen…« Als er sich langsam an der Wärme von Marios Körper entspannte, sagte Tommy mit unwohlem Lachen: »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht aufwecken. Ich hab’ nur nicht gewu ss t, dass es ein Traum war. Ich dachte, ich wäre hier aufgewacht und sei runtergegangen …«
    »Ich weiß , ich weiß . Es ist okay.« Mario suchte in der Dunkelheit nach Tommys Zehen. Eine alte Geste, um sie mit seinen langen und biegsamen Zehen zu verschränken.
    Tommy entspannte sich langsam, und durch Marios warmen Körper in der Dunkelheit neben ihm war ihm immer noch überwältigend bewu ss t, dass er wirklich hier war. Wirklich lebendig, warm, echt, nicht dieser scheußliche , ausgebreitete, gebrochene Haufen… Er legte seine Arme wieder um Mario und sagte mit leiser Stimme: »Du bist noch am Leben. Das ist die Wirklichkeit. Das muss ich mir immer wieder sagen.«
    »Ich weiß , wie das ist«, sagte Mario in die Dunkelheit.
    »In dem Jahr, nachdem Lu ihren Unfall hatte, sind wir Kinder immer aufgewacht und haben das ganze Haus zusammengeschrien. Damals habe ich mir angewöhnt, zu Liss ins Bett zu kriechen. Angelo hat uns die Hölle heiß gemacht, aber ich hab’ immer geträumt, dass sie diejenige war, die gestürzt war und zerschmettert wurde, und ich wollte mich bloß vergewissern, dass sie in Ordnung war…« Seine Stimme verlor sich im Schweigen. »Und später, in dem Jahr, als ich bei Lionel war, habe ich immer geträumt, dass ich wieder bei Angelo wäre, und dass er sich am Trapez in Lionel verwandeln würde. Und da bin ich immer in kaltem Schweiß aufgewacht. Verdammt komische Sache. Ich mochte Lionel, ich habe ihm vertraut. Ich hatte bloß immer wieder diese verdammten Alpträume.«
    Als Mario wieder schlief, lag Tommy da und hielt ihn fest, er war unfähig, die berührende Bestätigung aufzugeben, dass Mario tatsächlich lebendig in seinen Armen lag und nicht zerschmettert auf dem Fußboden des

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