Trapez
dick und belegt durch die Mullschichten in seiner Nase. »Das ist mir ganz recht, Johnny. Ich hab’ dir ja gesagt, dass wir einen Manager brauchen.«
»Was du brauchst«, sagte Johnny ärgerlich, »ist ein Pfleger! Einer von den kleinen Männchen in den weißen Kitteln! Warum überhaupt jemand fliegen will, ist mir ein Rätsel!«
KAPITEL 16
Die restlichen Flugszenen wurden ohne Zwischenfälle ein paar Tage später gefilmt. Ihre Arbeit für den Film war beendet, außer den Szenen, die aufgenommen werden sollten, nachdem der Zi rkus im ›Madison Square Garden‹ Premiere hatte.
Die Premiere war weniger als zwei Wochen entfernt.
Die erste Abteilung der Show war schon über Land unterwegs, um für die Schlu ss proben im ›Garden‹ da zu sein.
Eine Generalprobe sollte mit allen Artisten und dem gleichen Publikum aus kostümie rten Komparsen aus der Parrish-Ä ra stattfinden, deren Kostüme authentisch aus der Zeit wiederhergerichtet waren, in der Barney Parrish die Manege beherrscht hatte.
Randy Starr kam zum Haus der Santellis, um Lucia aufzusuchen, und er schaffte es, sie zu überreden, nach New York zu reisen und die Premiere ihres Sohnes als
»Star bei Starr« zu sehen – eine Position, die sie selbst lange Jahre gehalten hatte.
»Wenn ich bloß Randys Geheimnis kennen würde«, sagte Mario. »Lu hat seit – mein Gott – fast zwanzig Jahren keinen Fuß mehr auf Zirkusboden gesetzt!«
Mario, Tommy und Stella sollten am Tag vor der Premiere für die letzten Aufnahmen nach New York fliegen.
Dazu gehörten der Dre ifache, vor dem Hintergrund des ›Garden‹, eine letzte Aufnahme der ›Barney-Parrish-Nummer‹ und die ›Fehler‹-Sequenzen. Mario hatte wieder aus allen Lagen Stürze geübt, genauso unablässig, wie er als Junge den Dreifachen trainiert hatte.
Wenn er Zeit hatte, trainierte er mit den Jungen, mit Clays Freunden. Als Tommy protestierte und ihm sagte, er solle sich schonen, sag te er ernsthaft: »Nein, es ent spannt mich, mit den Jungs zu arbeiten. Hält mich bei Laune, tut mir gut.«
Aber fast jede Nacht wachte er aus Alpträumen auf, schlug um sich, schrie auf, und Tommy, der wu ss te, dass seine Nerven Hochspannung hatten, machte sich verzweifelt Sorgen um ihn. Mario, der keine Angst vor normalem Fliegen hatte, hegte eine beinahe abergläubische Furcht vor Stunt-Arbeit. Tommy hatte diese Angst nicht – er nahm es fast so gelassen hin wie Angelo – , aber er litt mit Mario. Tagsüber arbeitete Mario verbissen, schonte sich nie, ließ sich absichtlich auf den Fußboden des Übungsraums fallen, was sogar Tommy beängstigte, aber nachts forderten seine angeschlagenen Nerven mit Alpträumen ihren Tribut, wenn er schreiend erwachte und sich an Tommy klammerte.
»Matt, warum tust du das? La ss sie doch das verdammte Ding vortäuschen, oder sie sollen es ganz lassen!«
Mario saß auf der Bettkante und rauchte eine Zigarette.
» Sieh’ mal , versuch mal, es auf meine Weise zu sehen, Tommy. Du hast einen Punkt erreicht, an dem du feststellst, dass du immer wieder das gleiche machst. Keiner kann dir noch etwas beibringen, weil du schon mehr machst, als alle anderen. Ich hab’ mir den Dreifachen selbst beigebracht, weil es niemanden gab, der ihn mir beibringen konnte. Aber den schaffe ich jetzt. Ich muss –ich muss dies auch schaffen.«
Tommy fühlte kalte Finger an seinem Hals und erinnerte sich daran, was Papa Tony gesagt hatte.
War dies wirklich Marios Salto mortale? Sein persönliches Schicksal? Er ist weit weg, an einem einsamen Ort, und niemand kann ihn erreichen, außer dir vielleicht.
Aber auch wenn er Mario anflehen wollte, dies nicht zu tun und sich mit dem zu bescheiden, was er getan hatte, erkannte Tommy, dass dies genau das war, weswegen er Mario erreichen konnte: Weil er genug wu ss te, um Mario das tun zu lassen, was er tun mu ss te. Er konnte ihn herumkommandieren, er konnte bei fast allem die Initiative ergreifen – aber ihr Rollentausch ging nur so weit. Er war die Stütze für Mario. Er konnte ihm niemals ganz bis ins Unbekannte folgen, er konnte nur da sein, damit Mario sich festhalten konnte, wenn er es brauchte.
Er sagte: »Es bringt mich um, wenn ich sehe, was du dir antust.« Und er bemerkte dann, dass es das einzige Argument war, das er niemals benutzen durfte. Mario war tatsächlich weit weg an diesen einsamen Ort gegangen, den Papa Tony erwähnt hatte, wohin ihm niemand folgen konnte. Es lag in Tommys Macht, Mario zurückzurufen.
Er allein konnte es tun.
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