Trau dich endlich!: Roman (German Edition)
die Fenster. Sie hatte vergessen, die Vorhänge zuzuziehen. Ein Blick auf den Wecker verriet ihr, dass es schon neun Uhr war.
Wow, sie musste ja ziemlich erschöpft gewesen sein, wenn sie so lange geschlafen hatte. Kein Wunder, dachte sie und grinste in sich hinein. Sie hatte sich ja auch ganz schön verausgabt gestern Nacht. Sie warf einen Blick auf die andere Seite des Bettes und stellte erleichtert fest, dass Derek nicht wie sie verschlafen hatte. Hoffentlich hatte er es nach Hause geschafft, ehe Holly etwas bemerkt hatte. Gabrielle legte prüfend die Hand auf das Kissen neben ihr. Es fühlte sich kalt an. Er musste also schon länger weg sein.
Sie machte sich keine Sorgen, dass er die Stunden mit ihr womöglich bereuen konnte. Sie wusste, dass er nur wegen Holly gegangen war. Sie vertraute ihm. Falls sich zwischen ihnen etwas geändert haben sollte, dann würde er ihr das sagen, da war sie sich sicher.
Doch sie würde ihm gar keine Zeit oder Gelegenheit liefern, wegen letzter Nacht in Panik auszubrechen. Sie hatte es nicht eilig, nach Boston zurückzukehren. Sie konnte ebenso gut von hier aus arbeiten.
Sie schlug die Decke zurück und begab sich unter die Dusche, um sich für den bevorstehenden Tag zu rüsten. Jetzt, da sie sich ihrer Gefühle sicher war, wollte sie Derek möglichst in jeden Bereich ihres Lebens miteinbeziehen und ihn und seine Tochter so lange mit Zuneigung überschütten, bis er nicht mehr leugnen konnte, dass sie zusammengehörten. Und falls das immer noch nicht reichte und er sich weiter hartnäckig auf den Fluch herausreden sollte, musste sie eben schwerere Geschütze auffahren und ihm so viele Gegenbeweise liefern, bis er nicht mehr daran glauben konnte.
Denn sie liebte ihn. Sie hatte es schon vorher geahnt, und seit der gestrigen Nacht wusste sie, dass sie nie aufgehört hatte, ihn zu lieben. Jeder von ihnen musste noch viel über den anderen lernen, aber sie verdienten eine zweite Chance. Und Gabrielle war fest entschlossen, ihnen eine zu verschaffen.
Als Sharon am nächsten Morgen erneut ihren Autoschlüssel suchte, beschloss sie, die kleine, oben offene Tasche, mit der sie am Vorabend im Wave gewesen war, komplett zu leeren und ihre Sachen in einer größeren zu verstauen.
Sie kippte den Inhalt auf den Küchentisch. Wirklich unglaublich, was sie immer alles mitschleppte. Selbst die Taschen ihrer Kleider waren stets vollgestopft mit unnötigem Kram, ohne den sie nie außer Haus ging, weil sie ihn ja unterwegs womöglich brauchen könnte . Richard, der viel ordentlicher war als sie, zog sie deswegen häufig auf.
Bei dem Gedanken an Richard stieg wieder die Panik in ihr hoch, die sie schon den ganzen Vormittag zu unterdrücken versuchte. Nachdem ihr Erpresser gestern Abend nicht erschienen war, würde sie nun in ständiger Angst leben, immer darauf gefasst, dass früher oder später eines dieser grauenhaften Fotos von ihr irgendwo auftauchen könnte. Heute war es jedenfalls nicht in der Zeitung gewesen, Gott sei Dank. Noch nicht. Sie war gleich morgens zum Briefkasten gestürmt, um die Schlagzeilen zu überfliegen. Es machte sie völlig fertig, dass sie nicht wusste, was Tony als Nächstes vorhatte.
»Nur nicht die Nerven verlieren. Konzentrier dich auf deine tägliche Routine«, redete sie sich gut zu und versuchte, das flaue Gefühl in ihrem Magen zu ignorieren, indem sie sich auf das besann, was zu tun war.
Sie nahm jeden der vor ihr liegenden Gegenstände einzeln zur Hand – Geldbörse, Make-up-Täschchen, Handy, Schlüsselbund – und verstaute alles in einer größeren Handtasche, mit der sie normalerweise zur Arbeit ging. Die Taschentücher steckte sie ebenfalls ein; dann sortierte sie die zahllosen Quittungen und sonstigen Zettel, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatten. Auf den einen Stapel kamen Rechnungen und Notizen, die sie später ablegen wollte, der andere war für den Mülleimer bestimmt.
»Was ist das?« Sharon griff nach einem kleinen Briefumschlag, der ihr gänzlich unbekannt vorkam. Er war unverschlossen, und auf der Vorderseite stand ihr Name.
Das sah gar nicht gut aus. Mit zitternden Händen zog sie einen Zettel aus dem Kuvert. »Leg das Geld unter den künstlichen Gummibaum vor der Damentoilette. Die Fotos bekommst du später.«
Kurz und bündig, und wieder anonym. Zu dumm, dass sie den Umschlag erst jetzt entdeckte! Unvermittelt brach ihr der kalte Schweiß aus. Sie hatte die Anweisung nicht
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