Trau niemals einem Callboy! (German Edition)
Hausflur angekommen bin. Vor meinem inneren Auge sehe ich einen Toten, der mich frech angrinst. Das Bild ist hartnäckig, will sich nicht aus meinem Kopf vertreiben lassen. Ich möchte eigentlich in die Küche, aber mir ist, als würde mich eine unsichtbare Hand zurückdrängen. Vielleicht später ... Jetzt muss ich ohnehin die Terrasse aufräumen. Ich stopfe die nassen Kleidungsstücke in einen Müllsack und werfe alles in die Tonne. Morgen kommt die Müllabfuhr, dann sind die letzten Spuren meiner nächtlichen Aktion beseitigt.
Es ist kurz vor halb sechs, als ich auf den Hotelparkplatz einbiege. Pünktlich zum Kochkurs, der wöchentlich stattfindet. Ich bin froh darüber, dass ich hierher flüchten kann, obwohl ich todmüde bin. Vielleicht bringt mich das Kochen auf andere Gedanken. Wenn ich mich auf die Küchenarbeit konzentriere, kann ich nicht darüber nachdenken, wie ich die Leiche …Also, Hauptsache mein Kopf ist mit etwas anderem als meinen derzeitigen Problemen beschäftigt.
Der Kurs sollte eine Überraschung für Ron sein. Er ahnt nicht, dass ich fest entschlossen war, eine vollendete Gastgeberin für anspruchsvolle Geschäftsessen zu werden und eine ebenso gute Köchin. Allerdings habe ich mittlerweile festgestellt, dass das viel schwieriger ist, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Weshalb auch der Gedanke, einen Cateringservice zu engagieren, anstatt von aufwendigen Menüs zu träumen, die ich ohne Probleme zubereite, in den letzten Wochen immer mehr an Reiz gewonnen hat. Es muss ja niemand davon erfahren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sämtliche Bankergattinnen in Rons Bekanntenkreis in der Lage sind, spontan ein Dinner für fünfzehn Personen zu zaubern. Leider fehlt mir dieses Talent. Und, wenn ich ehrlich bin, fehlt mir auch die Begeisterung für ein solches Unterfangen.
Aber wenn heute etwas keine Rolle spielt, dann sicher das. Solange ich von anderen Menschen umgeben bin und mir nur den Kopf darüber zerbrechen muss, wie ich es schaffe, eine Crème Brulée hinzubekommen, ohne das Hotel in Brand zu setzen, wird es mir gut gehen.
Bevor ich aus dem Auto steige, überprüfe ich mein Make-up, ziehe mit gekonntem Schwung die Lippen nach. Lächle mich im Spiegel an und will noch einmal den Kajalstrich auffrischen, als ... Das kann nicht sein! Der Stift fällt mir aus der Hand und hinterlässt einen schwarzen Streifen auf meiner weißen Bluse. Das bemerke ich allerdings erst viel später, denn all meine Sinne sind in dieser Sekunde damit beschäftigt, einen Schock zu verarbeiten. Sehr erfolgreich sind sie damit nicht. Ich starre mit weit aufgerissenen Augen in den Rückspiegel, obwohl das Pärchen, das mich in diesen Zustand versetzt hat, längst verschwunden ist.
„Das kann nicht sein. Bitte, lieber Gott, mach, dass das nicht wahr ist“, flüstere ich. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Gott mich hört. In letzter Zeit scheint er mit wichtigeren Dingen beschäftigt zu sein, als auf meine Gebete zu achten.
9
Die Fahrt nach Hause lege ich wie ein Zombie zurück. Während mein Körper mechanisch die notwendigen Handgriffe erledigt, wiederholt sich vor meinem inneren Auge immer wieder die gleiche Szene: Ron und diese Frau gehen Arm in Arm über den Hotelparkplatz und dann bleiben sie stehen und küssen sich. Im Geiste schmücke ich das Ganze aus, stelle mir vor, wie sie ins Hotel hineingehen, zusammen im Bett liegen und diverse Zärtlichkeiten austauschen. Ron, der ihr ins Ohr flüstert, dass er noch nie so tollen Sex hatte … Bei dieser Vorstellung fahre ich fast gegen einen Baum, aber irgendetwas, vielleicht der grundlegende Überlebensreflex, zwingt mich dazu, das Steuer gerade noch rechtzeitig herumzureißen.
Und dann bin ich endlich in Kronberg. Ich betrete unser Heim, lasse die Haustür hinter mir ins Schloss fallen, schleppe mich die Treppe hinauf in unser Schlafzimmer und verkrieche mich ins Bett. So ähnlich müssen sich Schlafwandler fühlen. Nicht ganz da, aber auch nicht in vollkommenem Tiefschlaf. Schlaf! Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Eintauchen in das Vergessen, einfach für eine Weile nicht Teil dieser Welt sein. Morgen, wenn es hell ist, ist alles wieder in Ordnung. Morgen werde ich feststellen, dass ich geträumt habe. Dass Ron auf Geschäftsreise ist. Genauso, wie er es mir erzählt hat.
Ron ist in Brüssel!
Der Gedanke setzt sich in meinem Kopf fest. Mit einem Mal überkommen mich Zweifel, gefolgt von schlechtem Gewissen. Ich habe
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