Trauerspiel
mir bitte die Namen, Adressen und die Telefonnummern deiner Freunde auf diesen Zettel», meinte Tanja. Während der Junge schrieb, schauten Tanja und Arne sich an. Maximilian hatte ihnen nicht alles erzählt. Aber es wäre zwecklos, ihn jetzt zu zwingen.
«Wir werden noch einmal mit dir sprechen müssen», meinte Arne freundlich. «Wir melden uns dann bei dir. Hier hast du meine Karte, falls dir noch was einfallen sollte. Unter dieser Nummer kannst du immer jemanden erreichen.»
Maximilian nahm die Karte und gab Arne zum Abschied die Hand. Aber er schaute ihm nicht in die Augen und seine Pickel glühten rot auf seiner blassen Haut.
* * *
«Der arme Kerl», meinte Arne, als sie im Auto saßen und im vorgeschriebenen 30-km-Tempo die Frankenhöhe herunterfuhren. Maximilian hatten sie in der Obhut seiner Mutter zurückgelassen, die die beiden Kommissare noch aus dem großen, aber etwas bieder-solide wirkenden Haus bis an das Gartentörchen begleitet hatte. Die Mutter wirkte ratlos und verstört. Wahrscheinlich ging es ihr wie vielen Eltern heranwachsender Kinder – sie kam an ihren Jungen einfach nicht heran. «‹Der arme Kerl› hat uns aber nicht alles erzählt», erwiderte Tanja. «Und ich wette einmal, seiner Mutter auch nicht.»
* * *
«Hallo, hier spricht Ibel, Bestattungen Ibel und Jung», säuselte es Susanne aus ihrem Anrufbeantworter entgegen. «Ich rufe wegen dieser schrecklichen Sache an, wegen Julia Moll. Also, Frau Pfarrer, bitte rufen sie zurück. Die Familie Moll hat uns die Bestattung ihrer Tochter anvertraut. Lassen Sie uns die notwendigen Schritte miteinander besprechen.»
«O Gott, Ibel und Jung», seufzte Susanne und ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. «Lassen Sie uns die notwendigen Schritte miteinander besprechen», äffte sie den flötenden Tonfall von Stefan Ibel nach. «Die haben mir noch gefehlt, mit ihren indianischen Masken an der Wand, den Buddhas im Regal und den Geisterfallen im Fenster. HERR, welche Prüfungen hältst du für mich bereit?!»
Ibel und Jung waren in der Tat eine der zehn Plagen von Mainz, wie Dekan Dr. Weimann nach einer Flasche Weißburgunder und im vertrautesten Kreis zu sagen pflegte. Ibel und Jung hatten die Marktlücke der bewussten, selbstbestimmten Bestattung entdeckt. Gewiss, es war nicht immer schön gewesen, wie rüde und unsensibel bisweilen mit Verstorbenen und ihren Angehörigen umgegangen wurde. Die übliche Regelung in Mainz, nach der ein Trauergottesdienst nicht länger als 25 Minuten dauern durfte, wenn die Hinterbliebenen nicht für teuer Geld die Halle für weitere 25 Minuten mieten wollten, trug nicht immer zur Andacht bei. Aber Susanne war es bisher trotzdem immer gelungen, einen würdigen Abschied zu gestalten. Ibel und Jung, die, völlig unkirchlich, noch nicht einmal in der Lage waren, die Gebete von der Traueransprache zu unterscheiden und deshalb immer, wirklich immer die Musik an der falschen Stelle einblendeten, waren dabei nicht gerade der Sache dienlich. Außerdem gingen Susanne sowohl Ibel als auch Jung mit ihrem ständig betroffen-sensibel-einfühlsamen Gesichtsausdruck einfach nur auf den Heiligen Geist. Allein ihr feucht-schlaffer Händedruck, mit dem sie die Trauergäste und – leider – auch die Pfarrer begrüßten, ließ Susannes Stimmung auf Minusgrade sinken. Ibel und Jung fanden auch, dass ein Sarg individuell gestaltet werden sollte. Sicher, Susanne war auch kein Fan von Eiche rustikal mit Messinggriffen. Im Freundeskreis hatte sie schon immer verkündet, dass sie in einem schlichten Kiefernsarg mit einem Bukett (je nach Jahreszeit) aus bunten Frühlingsblumen, Freilandrosen, Astern oder Weihnachtssternen bestattet werden wollte. Die fröhliche Anregung von Idel und Jung an die Kinder der Trauerfamilien, den Sarg des oder der Verstorbenen bunt zu bemalen, um ihre persönliche Beziehung auszudrücken, traf jedoch überhaupt nicht auf Susannes Gegenliebe. Die ungelenk gezeichneten Sonnenblumen, die Mondsgesichter und Schuhkastenhäuser, die seitdem die Särge der Bedauernswerten zierten, deren Angehörige auf die gesäuselte Einladung von Ibel und Jung hereingefallen waren – «Kinder, malt einfach, wie's euch ums Herz ist, der Opa fände das bestimmt wunderschön » –, fand Susanne schrecklicher als Altdeutsch-Eiche-Antik mit Nelkengebinde. Jetzt hatten Julias Eltern ausgerechnet dieses Schreckensinstitut mit der Beerdigung von Julia beauftragt. Nun, man wuchs mit seinen Aufgaben, und sie würde ihr Bestes
Weitere Kostenlose Bücher