Trauerspiel
familiäre Veranstaltungen zur Verfügung, wann immer sie es wünschte. Sie selbst bewohnte ein großzügiges Apartment im zweiten Stock des Hauses. Die übrigen Etagen wurden von der neuen Geschäftsleitung genutzt. Susanne hatte gehört, wie Frau Berger zu einer Freundin meinte, dass man sich im Alter auch mit 200 qm Wohnfläche beschränken könne, für eine Person sei das ausreichend. In der Tat brauchte Frau Berger für ihre Möbel und Bilder viel Platz, früher hatten diese Antiquitäten das ganze Haus möbliert. Susanne erinnerte sich auch an Brigitte Moll bei den Geburtstagsfeiern ihrer Mutter, meistens im Faltenrock mit Bluse. Wer sie nicht kannte, mochte sie mit einer Angestellten verwechseln, wenn die nicht alle schwarze Kleider mit weißen Schürzen getragen hätten. Brigitte Moll hatte sich nicht aus dem Schatten ihrer starken Mutter gelöst, sondern sich ein Plätzchen in diesem Schatten bereitet. Und sie hatte, so im Hintergrund, auch ganz glücklich gewirkt. Die Bühne des Lebens überließ sie gerne anderen. Als Susanne ihr jetzt die Hand reichte, erschrak sie über den Händedruck, der kaum zu spüren war. Seit dem Tag, an dem ihre Tochter tot aufgefunden wurde, war Brigitte Moll um Jahre gealtert. Susanne schien es, als ob die hellen Haare von Julias Mutter stumpf, ja fast grau geworden wären. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Stumm gab sie Susanne mit einer Geste zu verstehen, mit ihr ins Wohnzimmer zu kommen.
Auf den blau-weißen Sesseln saßen Richard Moll und sein Schwager Michael Berger. Michael Berger sah man ebenfalls die Trauer und die Anspannung der letzten Tage an. Seine Haut wirkte fahl, seine Haare ungewaschen und ungekämmt. Das Hemd sah so aus, als ob er es schon am vorigen Tag getragen hätte. Richard Moll wirkte wie in seiner Trauer erstarrt, seine Gesichtszüge schienen unbewegt. Brigitte Moll bat Susanne, auf dem Sofa Platz zu nehmen und setzte sich neben sie. Eine Weile herrschte Schweigen.
Schließlich räusperte sich Richard Moll und sagte: «Wir können es uns jetzt noch überhaupt nicht vorstellen, aber sobald der Körper unserer geliebten Julia freigegeben ist, wollen wir sie so zu Grabe tragen, wie es ihr angemessen gewesen wäre. Sie, liebe Frau Hertz, sind die letzte, mit der Julia gesprochen hat…», hier brach seine Stimme ab, er musste sich mehrfach räuspern, ehe er weiterreden konnte, «unser Kind hat zu Ihnen Vertrauen gehabt, Julia wollte mit Ihnen sprechen.Wir wissen nicht, was sie in den letzten Stunden ihres Lebens bewegt hat. Aber meine Frau und ich finden, dass nur Sie diese Trauerfeier gestalten können und sollen. Alles andere wäre falsch.» Er verstummte.
Susanne schwieg auch. Sie war tief angerührt von dieser Rede des Vaters. Gleichzeitig spürte sie, wie schwer ihr diese Aufgabe werden würde. «Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen», begann sie, «und ich möchte heute mit Ihnen überlegen, wie wir einen Gottesdienst gestalten können, der uns an Julia erinnert und in dem wir Abschied nehmen können.»
Alle nickten.
«Zunächst ist meine Frage: Planen Sie den Gottesdienst im kleinen Kreis oder mit allen, die Julia kannten und mochten?»
Die Familie schaute sich an. Offenbar hatten sie sich darüber noch keine Gedanken gemacht. «Was raten Sie uns, Frau Hertz?», fragte Michael Berger.
«Ich kann Ihnen nichts raten, nur die Möglichkeiten aufzeigen und Sie müssen für sich spüren, was richtig für Sie ist. Sie sind diejenigen, deren Gefühle für mich am wichtigsten sind, deshalb setzen Sie allein die Grenzen. Ich stelle mir vor, dass bei einem Tod wie dem von Julia auch ein Medieninteresse besteht. Sie können es sich aber selbstverständlich verbitten, dass in der Trauerhalle gefilmt oder fotografiert wird. Wenn Sie sich für eine Beerdigung im engsten Kreis entscheiden, erfährt die Presse sowieso nichts davon. Auf der anderen Seite gibt es die Freundinnen und Freunde von Julia, ihre Klassenkameradinnen und -kameraden, die sicher auch um sie trauern. Doch deren Bedürfnis könnte auch mit einer Trauerfeier an der Schule Rechnung getragen werden.» Susanne wartete ab. Julias Eltern und ihr Onkel blickten nachdenklich. Susanne fühlte, wie sie das Für und Wider der verschiedenen Formen gegeneinander abwogen.
«Eigentlich will ich allein sein, wenn ich von meinem Kind Abschied nehme», sagte Frau Moll schließlich. «An dererseits war sie ein junges Mädchen mit vielen Freunden, ich denke auch an die Leute von der Oper, mit denen sie so
Weitere Kostenlose Bücher