Trauerspiel
da bin ich halt gegangen, habe die Kirchentür zugeschlossen und war fünf Minuten später bei deinem Fest.»
Tanja überlegte. «Du bist wirklich nicht vor die Tür gegangen?»
Susanne war erstaunt. «Nein, warum? Ich war nicht draußen.»
«Weil ich glaube, dass Julia auf dem Weg zu dir war, als sie ermordet worden ist. Und wenn du zu dieser Zeit nur einen Schritt vor die Tür gemacht hättest, dann hätten wir wahrscheinlich zwei Leichen hinter den Mülltonnen liegen.»
Susanne spürte, wie ihr übel wurde.
Tanja fuhr fort: «Was mir Gedanken macht, ist, wie viel früher als 23.30 Uhr, also zu dem Zeitpunkt, als du St. Johannis verlassen hast, der Mord geschehen ist. Bist du auf dem Weg zu uns an den Mülltonnen vorbeigelaufen?»
Susanne nickte stumm.
«Dir ist dabei nichts aufgefallen, zum Beispiel ob das Törchen offen war?»
Susanne schüttelte den Kopf. «Ich schau eigentlich nie in diese Ecke, wer betrachtet schon die Mülltonnen? Wenn das Törchen offen gestanden hätte, das wäre mir sicher aufgefallen. Andererseits: ich war in Gedanken schon bei dir und habe mich auf dich gefreut, womöglich hätte ich ein offenes Törchen nicht bemerkt.» Susanne grübelte. «Nein, ich glaube, ich hätte es schon gemerkt, weil es eigentlich immer zu ist. Doch beschwören kann ich es nicht. Ich habe einfach nicht bewusst darauf geachtet.»
Tanja überlegte: «Es könnte gut sein, dass der Täter oder die Täterin zu diesem Zeitpunkt noch hinter den Mülltonnen war und dich gesehen hat. Und ich hoffe mal, dass er oder sie dich nicht als potentielle Gefahrenquelle ansieht.»
«Irgendwie ist mir schlecht», meinte Susanne, «ich glaube, ich halte es jetzt mit dem Küster.» Sie kramte in ihrem Schrank und fand eine Flasche maltesischen Feigenschnaps, den ihr der Kirchenvorstand von Valletta vor Jahren geschenkt hatte. Susanne, die sonst kein Freund von harten Getränken war, goss sich einen kräftigen Schluck ein. Das Zeug brannte wie Feuer und schmeckte scheußlich, aber Susannes Magen nahm wieder seinen gewohnten Ort ein und hing nicht mehr knapp unter ihrer Kehle.
«Hast du eine Ahnung, worüber Julia mit dir reden wollte?», fragte Arne.
«Nein, sie wollte am Telefon gar nichts sagen, vergewisserte sich nur, ob ich auch unter Schweigepflicht stünde. Ich habe an dem Abend gedacht, sie hat vielleicht Liebeskummer. Und als sie nicht kam, da dachte ich, sie hat sich mit ihrem Freund wieder vertragen. Obwohl, von Max hatte sie sich ja schon länger getrennt, na ja, ich dachte halt, sie hat einen anderen, vielleicht eine schwierige Sache, ein Verhältnis mit einem Lehrer oder so, deshalb die Frage nach der Schweigepflicht.» Susanne verstummte.
Tanja überlegte. «An deiner Intuition könnte was dran sein. Möglicherweise steckt ein verbotenes Verhältnis hinter dem Mord. Das ist ja illegal, eine Beziehung zwischen Lehrer und Schülerin. Das müssen wir überprüfen.»
Arne ergänzte: «Wir müssen uns auch mit ihrem ehemaligen Freund unterhalten. Möglicherweise hat er die Trennung nicht verkraftet.»
Susanne war entsetzt. «Du glaubst, ein Jugendlicher könnte diesen Mord begangen haben?»
Tanja war skeptisch. «Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber außer Acht lassen dürfen wir diesen Exfreund auf keinen Fall. Jetzt versuche bitte, uns Julia zu beschrei ben. Was für ein Typ Mädchen war sie, wie lang kennst du sie und so weiter. Lass nichts aus.»
«Ich kenne Julia, seitdem ich hier in der Gemeinde bin, also seit gut zwei Jahren», erzählte Susanne. Sie war gerade konfirmiert worden und hatte Lust, in der Gemeinde mitzuwirken. Beim Stadtjugendpfarramt hat sie dann einen Mitarbeitergrundkurs absolviert und hier bei uns in der Konfirmandenarbeit mitgeholfen. Sie ist bei Freizeiten mitgefahren, hat einzelne Stunden mitgestaltet und bis vor einem halben Jahr auch selbst eine Kindergruppe geleitet. Das ist ihr dann aber zu viel geworden, als sie die Chance bekam, in der Inszenierung von Otello mitzuwirken. Sie sang ja im Domchor mit und die werden immer mal wieder auch vom Theater angefragt. Ganz schön aufwändig, die Proben und alles. Tja, und da musste Julia eben etwas abgeben, so schwer ihr das auch fiel. Und so hat sie die Arbeit in der Gemeinde für die Zeit von Otello pausieren lassen. Sie war unglaublich engagiert, dabei verantwortungsbewusst. Man konnte sich auf sie verlassen, das ist ja nicht selbstverständlich. Sie war kein Mädchen, das viel geredet hätte. Still war sie aber auch nicht.
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