Trauerspiel
Ausspra che. Wie sollte es zwischen uns weitergehen? Sollten wir unsere Ehe beenden oder einen Neuanfang wagen? Wir beide haben dann gespürt, dass wir uns noch so viel bedeuten! Frau Hertz, die Liebe ist eine Himmelsmacht, das wissen Sie als Pfarrerin, obwohl Sie ja leider nicht heiraten dürfen!»
Susanne ersparte es sich, Frau Sommer zu erläutern, dass nur katholische Pfarrer nicht heiraten dürfen. Aber die Sängerin war sowieso nicht in der Stimmung für konfessionelle Haarspaltereien.
«Mein Thorsten und ich haben uns das Herz geöffnet. Ehrlichkeit ist doch der wahre Boden einer Ehe. Beichten, was zu beichten ist, auch ohne Beichtstuhl, wir leben ja nicht in Ihrer Kirche…»
Susanne verzichtete auch jetzt, Frau Sommer darauf hinzuweisen, dass Beichtstühle in evangelischen Kirchen nicht zu finden waren.
Unbeeindruckt von Susannes Schweigen fuhr die Sängerin fort: «Thorsten hat mir gestanden, dass er Julia zwar begehrt, aber nie besessen habe. Dieses Foto war eine Fälschung, Julia hatte mir die Wahrheit gesagt. Die Tasche mit Julias Kleidern hat Thorsten tatsächlich in unserem Auto gefunden. Es war ein Riesenfehler, dass wir sie heimlich wegwerfen wollten und nicht die Polizei verständigt haben. Heute sehe ich das ein. Wir haben bitter dafür büßen müssen! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie furchtbar das war: im Polizeiwagen abtransportiert zu werden, und dann die Nacht im Gefängnis, alles wurde mir abgenommen, ich kam mir so entwürdigt und hilflos vor. Aber diese schrecklichen Erfahrungen haben Thorsten und mich nur noch mehr zusammengeschweißt. Wir wollen unser Leben ändern! Dazu zählt auch die Reue! Ja, ich habe Julia schreck liches Unrecht getan, sie fälschlich beschuldigt! Da ich mich bei dem Mädchen nicht mehr entschuldigen kann, soll meine Stimme sie wenigstens ins Paradies geleiten.»
Susanne dachte sofort, dass sie damit glücklicherweise ihre Gesangsstimme meinte. Wer weiß, wohin Frau Sommers Sprechstimme geleiten würde … Aber dann war sie beschämt. Die Sängerin war aufrichtig gewesen, es tat ihr offensichtlich wirklich leid, was sie getan hatte. Andere Menschen würden sich lediglich herausreden, Ulrike Sommer handelte. Das war ihr hoch anzurechnen.
Jetzt klang ihr wunderschöner Sopran in der St. Johanniskirche, «Requiem aeternam», im Wechsel mit dem Chor. In der ersten Bank saß Katharina, sie hatte Susanne angerufen, um zu fragen, ob sie auch etwas beitragen dürfe. Susanne hatte ihr eine Psalmlesung übertragen und hoffte jetzt, dass Katharina dieser Aufgabe gewachsen war. Die junge Frau war überraschend gut angezogen, sie hatte sich dem Anlass entsprechend schwarz gekleidet, ihre Rastalocken gebändigt und trug die Haare streng nach hinten gebunden. Susanne begrüßte die Trauergemeinde und sprach ein Gebet. Der Chor räusperte sich und stimmte dann das Lacrimosa an. Die zarten Töne wehten durch das Kirchenschiff. Viele Jugendliche begannen zu weinen. Es war aber auch wirklich sehr ergreifend – der helle Sarg, die bunten Blumen, das Sommerlicht, das durch die hohen Fenster fiel, dazu die inständige Melodie Mozarts. Katharina ging ans Pult. Susanne sah von ihrem Platz aus, wie die junge Frau tapfer darum kämpfte, die Fassung zu bewahren. Bei den ersten Worten des 23. Psalms schwankte ihre Stimme noch ganz leicht, gewann aber bald an Festigkeit.
«Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück», las Katharina, Susanne spürte die tröstliche und stärkende Kraft der altbekannten Worte. Die Gemeinde sang aus dem wunderschönen Paul-Gerhardt-Lied «Nun ruhen alle Wälder» die 8. Strophe: «Breit aus die Flügel beide, o Jesu meine Freude, und nimm dein Küchlein ein. Will Satan mich verschlingen, so laß die Englein singen: Dies Kind soll unverletzet sein.»
Julia war verletzt worden, tödlich verletzt. Doch Susanne spürte, dass diese Unverletzlichkeit, von der Paul Gerhardt gesprochen hatte, dass die auch ein Michael Berger nicht hatte zerstören können. Diese Macht hatte er nicht, die hatte kein Mensch! Susanne spürte, wie die Kälte aus ihr wich und wie sich in ihr eine warme Zuversicht ausbreitete. Sie wartete, bis der letzte F-Dur-Akkord der Orgel in der Kirche verklungen war. Jetzt war sie an der Reihe. Sie hatte vor dem Gottesdienst nicht gewusst, wie sie in der Gegenwart Michael Bergers predigen sollte und konnte. In ihrer Ansprache hatte sie der Schuldfrage keinen Raum gegeben, sie hatte das Gefühl, dem Mörder
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