Trauerweiden
Spurensicherer. »Sonst können wir das auch vergessen. Wollen wir hoffen, dass das Mädchen kein Faible für Tintenfüller hatte.«
Heiko schlürfte Kaffee. »Und der Geldbeutel?«
Uwe betrachtete den Gegenstand, der vielmehr als Portemonnaie zu bezeichnen war. Denn wie alle Frauengeldbeutel war er groß, riesig. Nicht, dass den Damen dieser Welt ein Geldbeutel gereicht hätte, der seinen Zweck erfüllte – nämlich einfach ein Beutel für Geld zu sein – nein. Vielmehr beinhalteten Frauengeldbeutel alle möglichen Zettel, Quittungen, Visitenkarten, Rabattkarten, Punktesammelkarten und dazu noch das Übliche, also Ausweis, Führerschein, EC-Karte und manchmal sogar noch Geld. Und so ein Geldbeutel war auch das Portemonnaie von Jessica Waldmüller, das hier vor ihnen lag. Uwe klappte das Ungetüm vorsichtig auf. Ein schmatzendes Geräusch entstand, als die Lederteile auseinandergezogen wurden. Wie erwartet kam eine immense Anzahl von Karten zum Vorschein, verteilt auf fünf Fächer. Außerdem Bargeld, um genau zu sein 18 Euro 73, und ein hoffnungslos zusammengepappter Stapel mit Quittungen.
»Ich seh mir das alles in Ruhe an und geb euch dann Bescheid«, versprach Uwe.
»Vor allem den Kalender will ich bald haben. Und das Handy, wenn’s geht«, meinte Heiko. »Kalender ja, Handy dauert.«
Die Kommissare wandten sich zum Gehen.
»Ach, übrigens, die Ulmer haben die Leiche freigegeben. Und morgen um eins ist Beerdigung auf dem Friedhof in Ingerscha«, informierte Uwe sie.
»Denkst du an übermorgen?«, erinnerte Lisa. Heiko nickte. Verdammt, das hätte er beinahe vergessen. Lisas Geburtstag. Und er hatte noch kein Geschenk. Und keine Ahnung, was er ihr schenken könnte. Na ja, bis Samstag würde ihm schon noch was einfallen. »Ich habe einen Tisch beim Serben reserviert – beim »Kronprinzen« – kennst du das? Mein Vater steht nämlich total auf serbische Küche. Meine Mutter will ja eher was Exaltiertes, aber Papa liebt was Handfestes.« Heiko verdrehte unmerklich die Augen. Schlimm genug, dass er den Eltern seiner Freundin vorgestellt wurde. Und dass seine Eltern auch dabei sein würden. Aber dass er Lisas Mutter noch einmal würde ertragen müssen, das war nun nicht wirklich zu toppen. Und noch immer hatte er keine Ahnung, was er schenken sollte. »Und dann wollte ich dich noch fragen, ob du mir bei etwas behilflich sein könntest.« Heiko runzelte die Stirn. Das hörte sich ja bedrohlich an. »Ich bräuchte noch ein Kleid, für den Geburtstag.«
»Aber du hast doch ein Kleid«, hielt Heiko dagegen. Lisa verdrehte erneut die Augen. »Jedenfalls brauch ich was Neues, und da hätte ich gern ein bisschen Beratung.«
Zwei Stunden später saß Heiko apathisch auf einem Stuhl im TC Buckenmaier. Das TC war das letzte Traditionskaufhaus für Kleidung, das nicht zu einer überregionalen Kette gehörte, und das das allgemeine Lädensterben in der Crailsheimer Innenstadt, das unter anderem den Oechsle und den Burkhardt dahingerafft hatte, überstanden hatte. Der Stuhl war unbequem, verdammt unbequem. Heiko rückte auf dem Ding hin und her, aber auch davon wurde seine Lage nicht bequemer. Er vermutete, dass die Kaufhausmenschen die Stühle vor den Umkleidekabinen extra unbequem machten, weil … nun, ihm fiel gar kein Grund ein, wahrscheinlich aus purer Bosheit. Er sah auf die Uhr und seufzte. Seit einer geschlagenen dreiviertel Stunde hockte er jetzt hier vor der Kabine, in der Lisa ein Kleid nach dem anderen anprobierte. Beliefert wurde sie von einer spindeldürren Verkäuferin, die sich mit ihrem Magerlook wohl für attraktiv hielt und die Kleider in rauen Mengen anschleppte. Gerade war die Dame wieder auf der Jagd. Heiko seufzte und sah erneut auf die Uhr. Immer noch nicht später. Der Vorhang der Kabine öffnete sich. Wieder einmal. Lisa trat heraus, in ein blaues Kleid gewandet.
»Und?«, fragte sie. »Wie findest du’s?«
»Hattest du das nicht vorhin schon an?«
»Nein, das war ein hellblaues, und das davor war azur.«
Heiko hatte keine Ahnung, was azur war.
»Und?«, beharrte Lisa.
Heiko nickte. »Kleid«, stellte er fest.
»Ich weiß, dass das ein Kleid ist«, meinte Lisa nun etwas beleidigt. »Ich will wissen, ob es ein schönes Kleid ist.«
»Ja, gut«, befand Heiko. Und er fand das Kleid auch wirklich gut.
»Guuuut?«, äffte Lisa ihn nach. »Was bitte ist denn gut?«
Heiko zuckte die Achseln. »Ha, gut halt.« Er verstand die Aufregung nicht. Gut war doch gut. Das Optimum sogar,
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