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Trauerweiden

Trauerweiden

Titel: Trauerweiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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wenn man von der Hohenloher Devise »Nix gsocht is gloubt gnuach« ausging. Im Verhältnis dazu war gut doch gut. Wie sollte es auch sonst sein? »Sehr gut?«, versuchte er probeweise. Lisa verdrehte wieder die Augen und schloss mit einem Ruck den Vorhang der Kabine, während die dürre Tussi einen weiteren Berg Kleider anschleppte, unter dem sie fast zusammenbrach.
     
    Nach anderthalb Stunden hatte sich Lisa mit Heikos Hilfe und der noch größeren Hilfe der wahnsinnig netten Verkäuferin für ein honigfarbenes Kleid entschieden, dessen Schnitt ihren Körper schmeichelnd umspielte und dessen Farbe ihren Teint ganz außergewöhnlich gut zur Geltung brachte, wie die Expertin fand.
     
    Heiko und Sita waren heute weit gelaufen. Von Altenmünster bis zur Heldenmühle, das war ein gutes Stück. Er war eher durch Zufall hier gelandet. Nun. Vielleicht war es doch Absicht gewesen. Jedenfalls stand er jetzt hier am Jagstufer. Die Dackelhündin Sita schien gerade zu überlegen, ob sie ins Wasser sollte und taxierte das Ufer mit kritischen Blicken. Hier, genau an dieser Stelle, hatten sie die junge Frau aus dem Wasser gezogen. Hier, bei der Trauerweide. Da hatte sich der Körper verfangen. Heiko bückte sich, um unter den tiefhängenden Ästen des Baumes hindurchzuschlüpfen und zum Stamm zu gelangen. Sita hatte sich nun endgültig gegen ein Bad entschieden und trottete hinter ihm her. Der Baum war fast wie ein geschlossener Raum, weil die Äste bis zum Boden hingen. Als Kind hätte er Stunden hier zugebracht und sich eingebildet, in einer Hütte mitten im Wald zu leben. Heiko berührte den Stamm und strich über die kühle, raue Rinde. Lisa hatte ganz recht, Trauerweiden hatten etwas Morbides. Gleichzeitig waren sie aber auch faszinierend. Erstens wegen der Sache mit der Hütte. Und dann waren da noch diese Äste, teils knorrig und wie tot, teils flexibel wie Arme. Die Äste mit langen, fahlgrünen Blättern, die wie Perlen an einer Schnur aufgereiht waren und zu Boden fielen beziehungsweise im Fallen begriffen schienen. Und dann dieses Licht. Gedämpftes Licht, anders als das, welches man im Wald antraf. Aber nicht unangenehm, durchaus nicht, irgendwie schläfrig. Bedächtig trieb der Fluss einen Meter neben Heiko vorbei. Es gab Religionen, da glaubte man, dass der Körper noch etwas spürt, nachdem man gestorben ist. Erst neulich hatte er das irgendwo gelesen. Wenn es so wäre, dann wäre es bestimmt nicht schlecht, hier zu liegen, unter den Trauerweiden, im kühlen Wasser der Jagst.

Freitag, 27. September
    Es war fast das ganze Dorf erschienen. Auf dem Land war es üblich, dass zu einer Beerdigung alle kamen. Man zeigte sich solidarisch. Und gleichzeitig war erstens natürlich eine große Portion Neugier dabei. Würde der Chor schön singen? Der Pfarrer passend predigen? Würden die Angehörigen weinend oder gefasst am Rande des Grabes stehen? Zweitens kam im Fall von Jessica Waldmüller noch hinzu, dass ein Mord natürlich interessant war. Interessant, auf eine voyeuristische Weise, der man aus Gründen des Anstands eigentlich nicht nachgeben wollte, die aber doch ein angenehmes Gruseln bei den Leuten hervorrief. Und drittens war nach der Beerdigung der Leichenschmaus, der ja in Ingersheim immer im »Fuchsen« stattfand und der daher überaus beliebt war. Ein dünnes Glöckchen läutete. Die Menschen in der Kapelle rückten unruhig auf ihren dunkelgrün gepolsterten Stühlen herum. Kalt war es geworden, sehr kalt. Der Atem wurde vor den Mündern zu weißem Nebel. Vor dem Altar stand der Sarg aus weiß lackiertem Holz. Schon jetzt war er begraben unter einem Berg aus weißen Lilien. Dazu kamen etliche Kränze und Schalen. Heiko las auf den Bändern: »Du bleibst für immer in unseren Herzen, Deine Eltern mit Claudia«, »Wir werden Dich vermissen, Deine Kollegen«, »Du wirst immer in unseren Herzen bleiben« von den Majoretten und »Ich werde Dich immer lieben. Dein Verlobter Florian«. Linkerhand leuchtete ein gelb-blaues Glasfenster mit einem Kreuzigungsmotiv. Schließlich kam der Pfarrer, eine hagere Gestalt mit langem, braunem Bart und stellte sich hinter den Altar. Heiko betrachtete sinnend die erste Reihe. Von hinten, gut, er konnte die Gesichter nicht sehen. Aber er konnte sehen, wer da war. Da war zum einen natürlich Florian Ehrmann, im schwarzen Anzug. Rechts neben ihm die alten Waldmüllers, und noch daneben eine junge Frau, die Jessicas Schwester sein konnte. Links vom jungen Steinmetz saßen wohl seine

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