Trauerweiden
Eltern, zwei dralle Mittsechziger, und neben denen wiederum eine junge Familie: Eine Frau mit blondem Dutt, vielleicht Florians Schwester, ein sehr muskulöser Kerl und zwei ganz entzückende kleine Mädchen, die die Haare zu Zöpfen geflochten trugen und schwarze Hüte auf den Köpfchen hatten. In der zweiten Reihe saßen die Damen – und der eine Herr – von Uschis Friseursalon sowie die Frauen von den Majoretten. Heiko konnte die dicke Tanja ausmachen, deren Schultern doppelt so breit waren wie die von Monika und Silvia, zwischen denen sie saß. Beinahe übersehen hätte er Katja, die sich neben Uschi gesetzt hatte. Der Pfarrer hatte begonnen, vom ewigen Leben zu predigen. Er betonte, dass das Leben nicht vorbei sei, wenn einen der Tod ereile. Dass es immer noch Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits gebe. Und dass man sich bei einer so jungen Frau, noch dazu, wenn sie schwanger gewesen sei, nicht in Verzweiflung stürzen dürfe. Ein fast unmerkliches Raunen ging durch die Menge, und die Alte, die neben Heiko saß, wisperte der, die neben Lisa, also drei Plätze weiter, saß, über Heikos Schoß hinweg zu: »Hasch du des gwisst?« Die Zipfel ihres dunkelblauen Kopftuchs streiften Heikos Hand.
Die andere Oma, die einen braun gefärbten Dutt trug, antwortete wispernd: »Ha, bei der Uschi henn ses verzehlt. Awwer verheiert wooras doch nouni, odder?«
»Noooh«, machte die erste und schnalzte missbilligend mit der Zunge.
Der braune Dutt winkte ab. »Ach, des is heit nimmi sou. Früher henn ses doch aa triewa. Bloss hatt’s kooner gmerkt.«
»Ja, wenn’s Glück ghett henn.« Beide Frauen unterdrückten ein Grinsen.
»Lasst uns beten«, forderte die Stimme des Pfarrers auf, und augenblicklich nahmen die Mienen der älteren Damen wieder einen geradezu professionellen Trauerausdruck an. Das Gebet war ergreifend, und Heiko registrierte vereinzeltes Schniefen. Anschließend sang der Chor »Ich bete an die Macht der Liebe«. Florian senkte den Blick und schluchzte, und seine Schultern hüpften auf und ab. »Der Arme«, wisperte Lisa. Heiko betrachtete sinnend seine Freundin. Wenn jemand seiner Lisa auch nur ein Haar krümmen würde, dann würde er für nichts garantieren. Wahrscheinlich würde der Mörder das nicht überleben. Wie musste sich erst der junge Ehrmann fühlen, der den Mörder nicht einmal selbst suchen konnte? Heiko beschloss, sich bei der Suche noch mehr anzustrengen. Sie würden alles noch einmal genau durchgehen müssen, exakter analysieren. Sie hatten irgendetwas übersehen. Aber was? Die dünne Glocke ertönte wieder, und der Chor sang »So nimm denn meine Hände«. Danach wurde der Sarg von sechs uniformierten Trägern mit weißen Handschuhen aufgenommen und hinausgetragen. Die alten Kastanien und Linden bewegten sich leicht im Herbstwind und rauschten, einzelne gelbe Blätter schwebten wie Vogelfedern zu Boden. Alle Menschen folgten dem Sarg und scharten sich schließlich um das Grab. Die grau uniformierten Träger senkten den Sarg hinunter, und für einen Moment befürchtete Heiko, er könnte ihnen entgleiten. Nun waren die Menschen doch andächtig still. Niemand redete, niemand tuschelte. Nur die Glocke war zu hören. Schließlich trat der Pfarrer vors Grab und nahm die Erdschaufel. »Asche zu Asche, Staub zu Staub. Von der Erde bist du genommen, und zur Erde gehst du wieder zurück. Jessica Waldmüller, wir übergeben deinen Leib nun der Erde. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.« Jetzt traten die Angehörigen vor und warfen nacheinander eine Schaufel Erde ins Grab. Florian war gar nicht zu trösten, genau wie die alte Frau Waldmüller, beide brachen in Tränen aus. Die blonden Hutmädchen warfen schmucke Blumensträußchen hinab. Auch Lisa wischte sich verstohlen eine Träne weg. Anschließend nahm die Familie am Grab Aufstellung, und dann defilierte die ganze Trauergemeinde vorbei, um noch einmal zu kondolieren. Es dauerte eine halbe Stunde, bis alle durch waren. Dann kamen die Eltern des Mordopfers auf die Kommissare zu. »Ihr seid natürlich auch noch zum Leichenschmaus eingeladen«, meinte Herr Waldmüller. »Wir treffen uns im »Fuchsen««.
Die Angehörigen, Freunde und Bekannten von Jessica Waldmüller hatten sich in der traditionsreichen Ingersheimer Gastwirtschaft versammelt. Die Kriminalkommissare hatten sich an einem der hinteren Tische niedergelassen. »Hier ist der Mörder dabei, da bin ich mir ganz sicher«, flüsterte
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