Trauerweiden
ungeduscht, aber er konnte einfach nicht schlafen. Er konnte auch weder essen noch einen klaren Gedanken fassen. Er konnte nur an sie denken, an seine Jessi, die jetzt weg war. Mit einer matten Handbewegung stellte er den Wodka zur Seite und lauschte. Hatte es auch wirklich geklingelt? Er hörte angestrengt in die Stille hinein, die Stille, die zu still war, weil Jessi nicht da war. Das mit der Technomusik hatte nämlich nicht funktioniert, nichts funktionierte, nicht einmal schlafen. Und dann klingelte es noch einmal. Florian erhob sich gleichgültig, es war sowieso egal, wer draußen stand. Es war alles egal. Er latschte zur Tür und stieß sie auf. Da war Monika. Sie atmete schwer und war nass vom Regen. Sie sagte auch nichts, sie stand einfach nur da. Das rote Haar hing in Strähnen herab und ihr Mantel klebte am Körper. Ihre Wimperntusche lief ihr in Bächen über die Wangen, und trotzdem war sie schön. »Monika … «, stammelte Florian, und sie nickte. Er trat zur Seite und ließ sie eintreten. Aber sie ging nicht an ihm vorbei, sie kam auf ihn zu. Und sie drückte ihn gegen die Wand im Flur und küsste ihn, und er, er ließ es geschehen, denn es fühlte sich gut an, er brauchte ein bisschen Wärme und Zuneigung in diesem Moment. Er hielt sich an ihr fest und er dachte nicht nach, er dachte nicht mehr an Jessi, nicht für diese eine, gnädige Stunde.
Montag, 30. September
Uwe zerrte wieder mal an seinen Latexhandschuhen. Heiko wusste, dass er die Dinger eigentlich überhaupt nicht leiden konnte.
»So, also was die DNA-Tests betrifft, da muss ich euch leider enttäuschen. Die Herren Verehrer haben zwar allesamt reichlich betroffen gewirkt – einer hat sogar geheult – aber von denen ist definitiv keiner der Vater. Und die haben auch alle ein Alibi, das hat der Simon schon überprüft, drei davon waren sogar auch auf dem Junggesellenabschied von dem Kerl, bei dem auch der Ehrmann eingeladen war.«
»Crailsheim ist klein«, meinte Heiko und hob die Schultern.
»Ich denke auch nicht, dass das was zu bedeuten hat«, stimmte Uwe zu.
»Ich nehme an, der Knopf fehlt am Kostüm?«, vermutete Lisa. Uwe nickte sparsam.
»Und ist bei dem Geldbeutel noch irgendwas rausgekommen?«
Der Spurensicherer senkte theatralisch die Lider und antwortete dann: »Das nicht. Aber ich hab trotzdem noch was für euch.«
Er machte es wieder einmal spannend. Er liebte Spannung. Und er genoss es, wichtig zu sein, aber nicht auf eine machthungrige, sondern auf eine ironische, augenzwinkernde Art. Heiko wartete geduldig.
Schließlich gab Uwe auf und sagte: »Das Notizbuch ist trocken. Und das meiste ist tatsächlich mit Kuli geschrieben. Da könnt ihr euch gleich draufstürzen.«
Als die beiden weg waren, griff Uwe zum Handy. Ewig hatte er mit sich gerungen, denn für so was war er eigentlich zu stolz. Aber das unerwartete Treffen hatte die alten Gefühle wieder aufflammen lassen. Er seufzte tief und wog das Handy in der Hand. Sollte er? Ach, warum nicht. Er ging auf »Nachricht verfassen« und tippte dann: »Hey Silvia, ich muss immer an dich denken, seit wir uns neulich getroffen haben. Hättest du Lust, mit mir was trinken zu gehen? Liebe Grüße, Uwe.« Erneut zweifelte er, ob er die SMS tatsächlich abschicken sollte, drückte aber schließlich mit geschlossenen Augen auf »senden«. Dann legte er das Handy beiseite und widmete sich wieder seinen DNA-Proben. Scheinbar konzentriert, aber trotzdem innerlich nervös. Eigentlich total unkonzentriert, wenn er ehrlich war. Immerzu dachte er an sie. Es war wie verhext. Obwohl es fünf, nein, sechs Jahre her war. So lange, und trotzdem spukte sie ihm immer noch im Kopf herum. Wieder schielte er zu dem Handy, das nun auch tatsächlich durch Vibrieren anzeigte, dass eine SMS eingegangen war. Uwes Adrenalinspiegel schnellte schlagartig in die Höhe. Verdammt. Was war denn mit ihm los? Er griff zum Handy und betrachtete sinnend das Briefchen auf dem Display, bevor er auf »Lesen« drückte. Viel stand da nicht. Nur: »Sorry, aber da hätte mein Freund was dagegen.«
Sie hatten sich zum Mittagessen in den McDonald’s gesetzt. Heiko hatte soeben einen BigMac verzehrt und tat sich nun an einem Cappuccino gütlich. Wieder einmal hatte Lisa lediglich einen Salat gegessen, dafür stand aber ein gewaltiger Latte Macchiato vor ihr. Sie blätterte das Buch durch. Die Seiten waren wellig, aber trocken, und man konnte sie umblättern, ohne sie kaputt zu machen.
»Jeden Dienstag
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