Trauerweiden
Kurz hinter der Pizzeria »Da Silvio« bogen sie rechts ab, hoch zum Reiterhof.
Sie parkten den Wagen. Überall herrschte rege Betriebsamkeit. Eine Gruppe Erwachsener saß an den Tischen einer improvisierten Kneipe. Viele warteten offenbar auf das Ende der Reitstunde ihrer Kinder. Gerade kamen zwei Reiter den Weg hoch. Auf dem einen Pferd saß ein etwa zehnjähriges Mädchen, auf dem anderen Katja Blum. Selbst ihr Helm war neutral, neutral grau, während der rosafarbene Helm des Mädchens über und über mit Pferdeaufklebern verziert war. Die Hairstylistin erblickte die beiden Kommissare und nickte ihnen grimmig zu. Heiko besah sich die Pferde. Das Kind ritt einen Haflinger, der so liebenswürdig und gutmütig aussah, als könnte er das Titelblatt der »Wendy« zieren, Katja hingegen saß auf einem großen Rappen, der sehr elegant wirkte. Zum ersten Mal strahlte die Hairstylistin so etwas wie Präsenz aus. Sie fühlte sich auf dem Rücken des großen Tieres sichtlich wohl. Die Pferde waren heran, und Katja machte ein zungenrollendes »Brrrrrr« und griff gleichzeitig in die Zügel des Haflingers neben ihr. Mit einem gekonnten Schwung stieg sie ab und nestelte an ihrem Helm.
»Wollt ihr zu mir?«, fragte sie die Kommissare ohne zu lächeln.
»Ja, wir hätten da ein paar Fragen«, begann Lisa.
»Dann müsst ihr aber mit in den Stall kommen, wir müssen die Pferde versorgen.«
Lisa blickte etwas pikiert drein – sie hatte heute nicht gerade ihre Stallschuhe an – aber Heiko zuckte nur die Achseln und stapfte ergeben hinter den beiden Pferden und ihren Reitern her.
Kurze Zeit später sahen die Ermittler zu, wie Katja Blum und das sehr schweigsame Mädchen ihren Pferden simultan Sattel und Zaumzeug abnahmen und die Tiere mit Handtüchern trocken rieben. Sie befanden sich in einer großen, geräumigen Stallung.
»Also?«, fragte die Hairstylistin, während sie das schweißnasse Fell mit einem intensiv rosafarbenen Handtuch hingebungsvoll rubbelte.
»Wir waren bei Ihrer Chefin, bei der Frau Seibold … «, begann Heiko.
»Und?«
»… und die hat uns einige interessante Dinge erzählt.«
Lisa legte Heiko eine Hand auf den Arm und schüttelte beinah unmerklich den Kopf. Anders. So nicht. Katja Blum schwieg. Man hörte nichts außer dem wohligen Schnauben des Pferdes und dem leisen Kratzen des Striegels, mit dem die Reiterin inzwischen das schwarze Fell bearbeitete.
»Sie haben uns ja schon erzählt, dass Sie und Frau Waldmüller nicht gerade die besten Freundinnen waren«, fing Lisa an. Wesentlich diplomatischer, wie sie fand.
Katja Blum machte »Hm«.
»Und nun ist uns zu Ohren gekommen, dass Ihre Antipathie wohl nicht ganz unbegründet war – die Jessica hat Ihnen wohl eine Stelle weggeschnappt?«
Katja hielt kurz in der Bewegung inne, und das Pferd wieherte vorwurfsvoll. Eine Sekunde später arbeitete sie jedoch weiter.
»Ja. Und?«, meinte sie dann wortkarg.
»Hat Sie das denn nicht geärgert?«
»Hätte es Ihnen denn nichts ausgemacht?«, fragte Katja zurück.
Lisa dachte nach. Natürlich hätte sie sich auch geärgert, ganz bestimmt. Mal ganz abgesehen davon, dass der Grund so offensichtlich und so wenig schmeichelhaft war. Aber sie konnte auch Uschis Beweggründe verstehen. Eine schwierige Sache war das.
»Also, ich erkläre es Ihnen. Ich bin schon vier Jahre länger dabei als die Jessi es war, das heißt, ich war längst schon Gesellin, als die Jessi als Azubine angefangen hat. Sie hat ihre Sache gut gemacht, das gebe ich zu, sie war nicht schlecht. Aber die Klassiker konnte sie nicht. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Uschi sie wegen der Optik befördert hat.«
»Aber, Frau Blum, sagen Sie doch so was … «, wollte Lisa abwiegeln, aber Katja hob Einhalt gebietend die freie Hand.
»So eine Tussi, wie die Jessi es war, fungiert nicht nur als lebende Modellpuppe, sondern sie zieht auch noch die männlichen Kunden an, und zwar scharenweise.«
Weder Heiko noch Lisa wagten zu widersprechen, die Heuchelei wäre allzu offensichtlich gewesen.
»Hören Sie, unter uns Frauen: Es gibt immer jemanden, der besser, hübscher, schöner als man selber ist. So ist nun mal das Leben.«
»Ja, das stimmt wohl. So ist halt das Leben«, stimmte Katja zu.
Sie füllte nun Heu in die Krippe, und der schwarze Hengst begann sofort, eifrig zu fressen. Die langen Halme verschwanden in dem klappenden Pferdemaul zwischen geräuschvoll mahlenden Zähnen. Heustaub flog auf und flimmerte golden
Weitere Kostenlose Bücher