Trauerweiden
im einfallenden Sonnenlicht. »Aber fair ist das nicht, oder?«
Lisa stimmte zu. »Nein, da haben Sie ganz recht, fair ist das nicht.«
Katja, die endlich ein kleines bisschen aufzutauen schien, nickte eifrig. »Wissen Sie, ich habe auf diese Stelle hingearbeitet, seit ich in diesem Betrieb angefangen habe. Ich habe gedacht, ein kleiner Betrieb wie der Uschi ihrer, da ist die Konkurrenz überschaubar. Und die Uschi hat immer gesagt, wenn ich meine Sache gut mache, kriege ich die neue Filiale im Kreuzberg.« Die Kommissare ließen sie reden. »Und dann fand ich es halt nicht okay von der Jessi, wenn sie Anstand gehabt hätte, hätte sie mir den Vortritt gelassen.«
»Das wäre aber nun wirklich sehr selbstlos gewesen«, wandte Heiko ein.
Katjas Finger durchkämmten fahrig die pechschwarze Mähne des Pferdes. »Natürlich. Aber sie hätte sich zumindest anders benehmen können. Ich habe sie nämlich mal darauf angesprochen.«
»Und wie hat sie reagiert?«, animierte Lisa zum Weitersprechen.
»Sie hat gesagt, ich solle mich nicht so anstellen und wir würden schließlich in einer Gesellschaft leben, in der es darum geht, was man leistet, und nicht, wer am meisten Mitleid erregt.«
»Mitleid? Das hat sie gesagt?« Lisa war ehrlich schockiert.
Katja zuckte die Achseln. »Kann man nichts machen. Jedenfalls, so war das. Und ja, natürlich hatte ich eine Wut auf sie. Aber umgebracht habe ich sie nicht. Ich habe mich damit abgefunden.«
»Hätten Sie nicht klagen können?«, wollte Heiko wissen.
Katja schnaubte. »Tolle Idee. Arbeiten Sie mal in einem Fünf-Mann-Betrieb, den Sie verklagt haben.«
Der Kommissar brummte. Da hatte sie schon recht, das war unmöglich. »Sie werden uns das jetzt vielleicht übel nehmen, aber Sie müssen entschuldigen, denn immerhin haben Sie ein dickes, fettes Motiv: Also wo waren Sie denn am Volksfestfreitag um elf?«
»Daheim. Und meine Eltern können das bestätigen.«
»Sie wohnen noch zu Hause?«, wunderte sich Heiko.
»Von welchem Geld soll ich denn bitte eine Wohnung bezahlen?«, hielt Katja dagegen.
»Als Filialleiterin hätten Sie sich das schon leisten können, nicht?«, mutmaßte nun Lisa. Wieder das Scharren des Striegels auf dem mittlerweile strahlend glänzenden Fell. Dann ein ganz, ganz leises »Vielleicht«.
»Die Waldmüller hat der das Leben ja zur Hölle gemacht. Da arbeitet die jahrelang auf die Beförderung hin, wohnt noch bei Mama und Papa, immer in der Hoffnung, dass ihr Friseurinnengehalt eines Tages aufgestockt wird, und dann schnappt ihr eine wegen der Optik die Stelle weg. Da hat man doch eine mords Wut im Bauch, oder nicht?«, fand Heiko.
Er gab Gas, und der M3 schnurrte zufrieden.
»Mords Wut oder Mordswut?«, kalauerte Lisa. »Jedenfalls ist die eine heiße Kandidatin, da kannst du sagen, was du willst.«
Bernhard Hofmeister konnte es immer noch nicht fassen. Sie, seine Jessi, sie war tot. Er saß seit Stunden hier auf seiner Designercouch im Wohnzimmer, in ein stylisches Baumwollplaid gehüllt, und umklammerte das gemeinsame Foto. Ja, er hatte sie geliebt und er liebte sie noch. Hieß es nicht in der Bibel, die Liebe sei viel stärker als der Tod? Das war so, da war er sich sicher. Er nippte am Weißweinglas, das er auf dem Wurzelholztisch abgestellt hatte. Sie war die Frau seines Lebens gewesen, das wusste er nun, ach was, er hatte es schon immer gewusst, immer. Jessica. Dass sie noch mit dem anderen zusammen gewesen war, der Form halber, das war ohne Belang. Sie hatte ihn auch geliebt, auch, wenn sie es niemals zugegeben hatte, bis zum Schluss nicht, das wusste er, er hatte es in ihren Augen gesehen. Ihre Augen, ihre schönen braunen Augen. Ein Schluchzen entrang sich dem Mann. Selbstvergessen drückte er einen Kuss auf die Hälfte des Fotos, auf der Jessica zu sehen war. Eine Träne rann ihm über die Backe, tropfte von seinem Kinn herab und bildete einen hässlichen Fleck auf dem Foto. Fahrig wischte er über das Bild. Nein. Jessica. Es durfte nicht sein. Es musste ein Albtraum sein. Aber er wusste selbst, dass es die Realität war, und die war unendlich bitter.
»Wie heißt das?«, fragte Lisa noch einmal. Sie konnte sich dieses komische Wort einfach nicht merken.
»Muswiese«, wiederholte Heiko. »Muswiese, wegen Musdorf. Das ist den Musdorfern ihr Volksfest.«
»Aha.«
»Ja. Das ist ursprünglich auch so eine Erntedank-Feier.«
»Und das geht eine ganze Woche lang?«
»Fast.«
Sie passierten Wallhausen und folgten der
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