Trauerweiden
unförmige Tüten, die zumeist Socken in allen Varianten enthielten, in den Händen. Sie passierten einen Stand, wo es gefühlte 500 Sorten Pinzetten und andere Metallinstrumente gab, mit denen man an sich herumzupfen, – schneiden und -feilen konnte. Einige Meter weiter entdeckte Lisa ein Schild mit der Aufschrift »Kuhfladenbingo«. Neugierig zerrte sie Heiko in die angegebene Richtung.
»Weißt du, was das ist?«, fragte sie.
Heiko seufzte. »Also. Da gibt es eine Wiese, und die ist in Abschnitte eingeteilt. Auf der Wiese ist eine Kuh. Und man kann dann wetten, wann sie scheißt und wohin sie scheißt.«
Lisa blinzelte und zog die Nase kraus.
»Im Ernst?«
»Wirklich.«
Lisa lachte sich halb kaputt, als sie das »Spielfeld« erblickte. Die Kuh Berta machte keinerlei Anstalten, sich irgendwie zu bewegen, geschweige denn, einen Fladen zu produzieren. Vielmehr lag das braunweiße Fleckvieh entspannt in einer Ecke und käute genussvoll wieder. »Komm, da machen wir mit«, beschloss Lisa und ging zum Aktionsstand, wo man die Teilnahmekarten ausfüllen konnte.
Sie ließen den Abend auf dem Festplatz ausklingen, wo sie erst die Fahrgeschäfte betrachteten, die, anders als die auf dem Volksfest, charmant antiquiert wirkten. Dann aßen sie noch ein leckeres Steak und tranken etwas. Einträchtig saßen sie zusammen mit den Musdorfern und anderen Festbesuchern schließlich im Zelt.
Konradin Breiter räumte auf. Wie jeden Abend. Als Azubi war es seine Aufgabe, den Laden zu fegen, die Wickler einzusortieren und die Kämme und Bürsten zu desinfizieren. Ganz früher hatte das die Jessi gemacht, ganz früher. Bis sie zur Superhairstylistin avanciert war. Es war offensichtlich, dass die Chefin die hübsche Majorette vor Silvia und Katja bevorzugte. Silvia war damit ganz gut klar gekommen. Aber Katja. Sie tat ihm schon leid. Eigentlich war sie nicht hässlich oder so. Trotzdem wusste er nicht, ob sie überhaupt schon mal einen Freund gehabt hatte. Vielleicht, so überlegte Konradin, während er sorgsam die Wickler der Größe nach sortierte, war sie sogar noch Jungfrau. Denn Katja war das, was man in Hohenlohe ein »Chrischtkindle« nannte. Zu verkrampft, zu brav, zu langweilig. Langweilig vor allem. Er konnte die Chefin irgendwie auch verstehen, was die Filialleitung anging. Aber es war trotzdem nicht in Ordnung, denn Katja hatte die Stelle nötiger und war länger dabei, viel länger. Bedächtig legte Konradin Breiter die Kämme ins Desinfektionsbecken und sah zu, wie sie in der bläulichen Brühe untergingen. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass die Katja etwas damit zu tun hatte. Durchaus. Wenn er eine Frau wäre, und er wusste viel über die weibliche Psyche, aus zahllosen Gesprächen mit den Kundinnen, dann hätte er auch eine Stinkwut auf die Jessica gehabt. Denn eine solche Frau setzte Maßstäbe. Sie war hübsch, gewieft, clever und durchaus auch intrigant gewesen, die Jessi. Den meisten Männern entgingen die Intrigen, die die Frauen so spannen, aber Konradin registrierte sie sehr wohl. Und die Jessi war tendenziell bösartig gewesen, mindestens egoistisch hoch zehn. Er seufzte. Hoffentlich hatte die Katja keine Dummheit gemacht. Hoffentlich, denn das wäre schade um sie. Er seufzte tief und strich sich eine schwarz gefärbte Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor er den Besen nahm und abschließend die vielfarbigen Haarflusen auf dem Boden zusammenkehrte.
Mittwoch, 2. Oktober
»Also«, beschwerte sich Simon. »Wohär soll ich denn wissen, wer alles das Mordopfer oder den Ehrmann gekannt hat.«
Schon wieder vibrierte das Handy und mit ihm der ganze Tisch. Simon schielte hin, schien kurz mit sich zu kämpfen und las endlich schnell, aber mit verklärtem Lächeln die SMS. Heiko räusperte sich. »Dann ruf halt mal diesen Junggesellen an. Der weiß doch bestimmt, wie sich die Leute untereinander kennen.«
»Ich bin doch net doof, das hab ich doch schon tausendmal probiert. Aber der gute Mann ist einfach nie daheim. Der scheint ununterbrochen zu arbeiten.«
»Ein Handy hat er nicht?«, versuchte Lisa.
»Das nimmt er nicht mit ins Gschäft.«
»Wo schafft er denn? Dann reden wir selber mal mit dem, ist ja so langsam akut.«
»Beim Roll, in der LKW-Werkstatt«, informierte Simon die Kollegen.
Das Werksgelände der Firma Roll stach unter den Crailsheimer Firmen deutlich hervor, denn es hatte eine Besonderheit: Weithin sichtbar thronte mitten auf dem Gelände das größte, schönste und beste
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