Traumfabrik Harvard
ihre
mission
verweisen und sich ihrer wunderbaren Professoren, Studenten und Leistungen rühmen. Manchen ausländischen Beobachtern gefällt
dieser
sound
, andere finden ihn peinlich. Doch dabei geht es nicht bloß um Stilfragen, sondern vielmehr um die »Unternehmensphilosophie«.
Jede Hochschule, die einen »guten Job« machen will, weiß, dass das nur mit einem starken Selbstbewusstsein funktionieren kann.
Elite-Unis, die unter ständigem Druck stehen, ihre hohen Ansprüche und Kosten zu rechtfertigen, beherrschen die Klaviatur
perfekt. Doch auch die meisten anderen wissen sehr genau, was auf dem Spiel steht und lassen sich in ihrer Selbstvermarktung
nicht lumpen. Schaut man sich auf dem Campus um, scheint das nirgendwo Anstoß zu erregen, sondern im Gegenteil allgemein Gefallen
zu finden.
Das dritte und letzte Phänomen, das amerikanische Hochschulen so anders macht, ist die eifrige Pflege einer
corporate identity.
Ihre Fähigkeit, intensive und bemerkenswert lange emotionale Bindungen zu stiften und zu mobilisieren, ist unerreicht. Viele
deutsche Hochschulen sind verzweifelt bemüht, es ihnen darin nachzutun – bisher mit geringem Erfolg. Studenten und Alumni
amerikanischer Hochschulen stellen unaufgefordert Gefühle stolzer Zugehörigkeit zu »ihrer« Hochschule zur Schau, und zwar
beileibe nicht nur an den Elite-Unis. Durch Sticker auf den Rückscheiben und Heckklappen ihrer Autos, mit Logos auf Sweatshirts,
Polohemden und Tassen, mit Wimpeln und prunkvoll gerahmten Diplomen an den Wänden ihrer Büros oder Wohnzimmer »outen« sie
sich als Mitglieder einer Institution, die ihnen eine
family
ist und sein will. Wie in einer (funktionierenden) Familie werden Studenten von ihrer Hochschule umsorgt und gehegt, gefördert
und belobigt, »gecoached« und »gepampert«. Die Art und Weise, wie amerikanische Studenten an »ihre« Hochschule und diese an
»ihre« Studenten kommen, trägt viel zu solch innigen Bindungen bei. Wenn sich jeder Studienbewerber erst einen Platz im College
verdienen muss und |45| niemand kraft Amtes zugelassen wird, ist das Potenzial für eine wechselseitige Beziehungskiste groß. Wenn die Ehre der Auswahl
anschließend auch noch durch die schrecklich-schöne Erfahrung bereichert wird, mindestens zwei Jahre, manchmal auch vier mit
Kommilitonen in einem Doppelzimmer des
residential College*
zu verbringen, ist es kein Wunder, dass dieser Soziotop lebenslange Freund- und Seilschaften und ein intensives Beziehungsnetz
produziert.
Nun ist die demonstrative Identifikation mit einer Einrichtung in den USA generell weit verbreitet. Man kennt sie von den
cheerleaders
und Fanabzeichen im Sport, begegnet ihr in Firmen, deren Produkte und Läden einem strikten
corporate design
folgen, und findet sie in großen Franchise-Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche, die mit Vertrauensgütern handeln und
soziale Netzwerkbildung versprechen. Schon in der Schule werden solche Zurechnungen und Gesellungen eingeübt. In allwöchentlichen
Versammlungen, Kurs-Olympiaden und Teamsport-Turnieren lernen amerikanische Kinder, sie als selbstverständlichen und wichtigen
Teil ihrer Lebenswelt zu begreifen und sich verschiedenen
communities
zuzuordnen. Beim Aufbau und in der Pflege ihrer Netzwerke können Hochschulen an solche Erfahrungen unmittelbar anknüpfen.
Dank eines geschickten
merchandising
– dem Vertrieb von Sportkleidung und der Lizenzierung ihrer Logos – profitieren sie von der Zugehörigkeitssehnsucht und den
Distinktionswünschen ihrer Klientel.
Damit hat sich der Kreis unserer ersten Annäherung an die Hochschulwelt der Vereinigten Staaten und ihre charakteristischen
Eigenheiten geschlossen: Nachdem wir uns zunächst mit drei gängigen Pauschalurteilen über »die« amerikanische Universität
auseinandergesetzt und drei distinktive Grundmerkmale ihres institutionellen Arrangements ausgemacht haben, führte uns die
Frage nach einem expliziten
exceptionalism
der amerikanischen Hochschulbildung mitten hinein in die politische Selbstverortung der USA, in die auch die Hochschulen tief
eingelassen sind.
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90
47
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false
|47| 2 Vom Colonial College zur Spitzenforschung: Gestaltwandel der Hochschulbildung und Hochschulen in Amerika
In den Vereinigten Staaten gibt es heute knapp 4.400
degree awarding
* Einrichtungen der tertiären Bildung. Selbst wenn wir nur die etwa 2.550 Hochschulen berücksichtigen, die mindestens einen
Bachelorabschluss
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