Traumfabrik Harvard
Wartezeiten zwischen
Semestern oder Kursen gibt es nicht. Die Studenten können selber entscheiden, wie viele Kurspakete sie sich in welchem Zeitraum
zumuten wollen. Die Dozenten heißen
instructors
und sind rund um die Uhr online ansprechbar, die Studienzentren in gut erreichbaren Laden- oder Bürovierteln in der Nähe von
Autobahnabfahrten untergebracht. Dort wird Unterricht pur geboten, ohne viel Drumherum und kostspieligen Aufwand – sehr zweckmäßig
und zu einem verhältnismäßig günstigen Preis, am Abend und am Wochenende. Das kommt insbesondere älteren Studieninteressenten
entgegen, die auf dem Weg zum College oder in ihrer beruflichen Karriere irgendwo steckengeblieben sind und nun noch einmal
einen kräftigen Schritt voran gehen möchten. Auf perfekt gepflegte Wiesen und Parks, prächtige Gebäude und aufwendige Sportanlagen
können und wollen sie gern verzichten. Und wenn ihnen die Hochschule dann sogar noch »work based credits« für im Beruf erworbene
Qualifikationen gewährt, wozu viele der neuen Anbieter bereit sind, ist der Handel perfekt.
»No frills«, kein Schnickschnack, lautet ihr Erfolgsgeheimnis. Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ist eng. Bei Arbeitgebern
sind die Studienprogramme anerkannt, ihre Absolventen werden gern genommen. Einige Mega-Hochschulen werben damit, dass ein
Großteil ihrer Studenten eine Beihilfe des Arbeitgebers zu den Studienkosten erhält. Die Erfolgsquoten in den
degree programs
der University of Phoenix reichen zwar nicht annähernd an die Traumwerte der Elite-Universitäten heran. Aber sie liegen weit
über denen an Community Colleges und an vielen öffentlichen Hochschulen aus der zweiten und dritten Reihe – bei einer ansonsten
ähnlichen sozialen und ethnischen Mischung ihrer Kundschaft. In den kommerziellen Mega-Hochschulen mit einem Schwerpunkt in
technischen Gebieten (DeVry, ITT, Strayer) liegt der Anteil sogenannter »minority enrollments« bei weit über 50 Prozent (Morey
2004). Wie stark insbesondere diese Gruppen zum Geschäft der kommerziellen Hochschulen beitragen, belegt eine einfache Vergleichszahl:
2003/04 waren nur sieben Prozent der circa 1,1 Millionen Studenten im Staat New York an einer kommerziellen Hochschule eingeschrieben,
aber sie bezogen 17 Prozent aller |125| »tuition assistance grants« für bedürftige Studenten (
New York Times,
21.1.2006).
Um das Geschäftsmodell dieser neuen Anbieter ist in den letzten Jahren viel Aufhebens gemacht worden. Auf dem Höhepunkt der
dot-com
Euphorie am Ende der 1990er Jahre prognostizierten einige Management-Gurus, allen voran der legendäre Peter Drucker, es werde
bald keine »traditionellen« Hochschulen mehr geben. Unter dem Druck straff gemanagter, äußerst effizienter Wall Street-Fregatten
würde die gesamte Hochschulausbildung privatisiert und im Wesentlichen online betrieben. Was die akademische Welt jenseits
solcher Horrorszenarien oder grandiosen Utopien besonders umtreibt ist die Frage nach der Zukunft der
faculty
in den neuen Lehrfabriken. Für die Studieninhalte zeichnen dort ja nicht mehr die einzelnen Lehrenden verantwortlich, sondern
die Kurse werden von kleinen Expertenteams komponiert und auf standardisierten technischen Plattformen vertrieben. »Design«
und »delivery« sind getrennt und fallen unterschiedlichen Personen zu. Tatsächlich liegt darin wohl die größte Neuerung –
und ihre Folgen sind unmittelbar ersichtlich. In den
career colleges
alten Typs ist etwa die Hälfte der Dozenten hauptamtlich tätig. Damit unterscheiden sie sich nur geringfügig von vergleichbaren
öffentlichen Bildungseinrichtungen. An den Community Colleges ist nur ein Drittel der Dozenten hauptamtlich tätig – das sind
viel weniger als bei ihren privaten Konkurrenten. In den neuen Mega-Hochschulen sieht das Bild völlig anders aus: Im November
2006 standen in der University of Phoenix 1.263 vollzeitbeschäftigen Dozenten 22.176 Teilzeitkräfte gegenüber. 94,6 Prozent
nebenamtliche
faculty
ist der Spitzenplatz, aber kein Ausreißer: Bei Laureate Education liegt der Anteil ähnlich hoch, bei der DeVry Inc. beträgt
er 75,6 Prozent und für die kleine Strayer University 83,5 (Kinser 2007: 232;
Chronicle,
11.5.2007: A 40). Grosso modo beschäftigen die neuen Hochschulen also kaum mehr als ein Viertel ihres Lehrpersonals im Hauptamt
und etwa drei Viertel als freie Mitarbeiter.
Ihr stürmisches Wachstum wirft natürlich die Frage auf, was dies
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