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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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ein alter Hamburger, den man in der Sonne hatte liegenlassen. Ich sagte, daß ich ihnen für jede Hilfe dankbar wäre.
    Am nächsten Tag gruben wir dann unter der sengenden Mittagssonne einen Graben mit einem 45-Grad-Winkel aus, in den ich mich hineinlegte. Dann bedeckten sie mich vollständig mit Erde, bis nur noch mein Gesicht herausschaute. Sie sorgten für Schatten und ließen mich zwei Stunden so liegen. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, völlig hilflos und bewegungsunfähig begraben zu liegen. Wieder machte ich eine neue Erfahrung. Wären sie fortgegangen, wäre ich an dieser Stelle zum Skelett geworden. Anfangs machte ich mir noch Sorgen, daß mir irgendeine neugierige Eidechse, Schlange oder Wüstenratte übers Gesicht laufen könnte. Erstmals in meinem Leben konnte ich wirklich nachempfinden, was es bedeutet, gelähmt zu sein. Man will einen Arm oder ein Bein bewegen, aber die Glieder reagieren einfach nicht auf die Information aus dem Gehirn. Langsam aber entspannte ich mich und schloß einfach meine Augen. Ich konzentrierte mich darauf, wie die Giftstoffe meinen Körper verließen, und während ich die wunderbar kühlen, erfrischenden und reinigenden Elemente des Bodens absorbierte, ging die Zeit schnell vorbei.
    Jetzt kann ich das alte Sprichwort »Not macht erfinderisch« erst richtig verstehen. Es funktionierte! Wir ließen den Gestank in der Erde zurück.

13  •  Heilkünste
    Die Regenzeit stand bevor. Eines Tages entdeckten wir eine Wolke, die eine kurze Zeitlang vor uns herzog. Es war ein seltener Anblick, den wir alle zu würdigen wußten. Manchmal konnten wir sogar unter ihrem Schatten wandern und hatten dabei denselben Ausblick, wie ihn eine Ameise unter einer Stiefelsohle haben mußte. Es war ein außerordentliches Vergnügen, mit Erwachsenen zusammenzusein, die ihren Sinn für Kinderspäße nicht verloren hatten. Sie rannten aus dem Wolkenschatten in die grelle Sonne hinaus und verspotteten die Wolke ob ihrer langsamen Windbeine. Dann kamen sie wieder zurück in den Schatten und erzählten mir, daß diese kühle Luft einfach ein wunderbares Geschenk der Göttlichen Einheit sei. Es war ein fröhlicher, unbeschwerter Tag, aber am späteren Nachmittag ereignete sich eine Tragödie, oder zumindest erschien es mir in dem Moment so.
    Es gab einen jungen Mann um die Mitte dreißig, den sie »Großer Steinjäger« nannten. Er hatte ein besonderes Talent, wertvolle Steine zu finden. Vor einiger Zeit hatte er das »groß« vor seinen Namen gestellt, weil er in den letzten Jahren die ganz besondere Fähigkeit entwickelt hatte, wunderschöne große Opale und Goldnuggets in den von den Betreibern verlassenen Minen zu finden.
    Ursprünglich hielten die »Wahren Menschen« Edelmetalle für überflüssig. Man konnte sie nicht essen, und in einem Volk ohne Märkte konnte man sich mit ihnen auch kein Essen kaufen. Man schätzte sie nur wegen ihrer Schönheit und Nützlichkeit. Mit der Zeit entdeckten die Ureinwohner jedoch, wie wichtig diese Steine dem weißen Mann waren.
    Dies fanden sie noch seltsamer als seinen eigenartigen Glauben an den Besitz und die Verkäuflichkeit von Grund und Boden. Mit den Edelsteinen finanzieren die Stämme ihre Kundschafter, die von Zeit zu Zeit in die Städte gehen und mit neuen Nachrichten zurückkommen. Solange eine Mine noch in Betrieb war, machte der Große Steinjäger einen großen Bogen um sie, denn früher wurden seine Leute dazu gezwungen, dort zu arbeiten. Sie mußten montags in die Mine hineinklettern und kamen in der Regel bis zum Ende der Woche nicht mehr heraus: Vier von fünf Arbeitern starben dabei. Meistens beschuldigte man die Aborigines irgendeines Verbrechens, um sie dann als Strafe zur Minenarbeit zu zwingen. Dabei mußten bestimmte Quoten erfüllt werden, welche die Gefangenen ohne die Mitarbeit ihrer Frauen und Kinder nie erreicht hätten. Drei Menschen hatten eine Chance, die Quote für einen einzelnen zu erfüllen. Auch konnte man den Ureinwohnern jederzeit irgendwelche Regelverstöße anhängen und so jede Strafe beliebig verlängern. Es gab kein Entkommen, denn diese Degradierung von Menschenleben und menschlichen Körpern war natürlich völlig legal.
    An diesem Tag nun wanderte der Große Steinjäger am Rande eines Abgrunds entlang, als der Boden unter ihm plötzlich nachgab und er etwa sechs Meter tief auf eine felsige Fläche stürzte. Das Gelände, durch das wir gerade zogen, bestand aus riesigen, von der Natur glattpolierten

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