Traumfrau (German Edition)
Retter in der Not.
20
Hermann Segler stand barfuß in der Küche und trank sein siebtes Bier. Obwohl er nur ein Unterhemd trug, schwitzte er, als würde er im Pelzmantel an der Heizung Aerobic machen. Das Fernsehprogramm war schon lange beendet. Seine Frau schlief inzwischen. Viermal hatte sie ihn ermahnt: „Hermann, sauf nicht so viel. Du musst morgen pünktlich zur Arbeit.” Dreimal hatte er nicht geantwortet. Beim vierten Mal brüllte er: „Ich weiß selbst, wann ich zur Arbeit muss, verdammt noch mal! Mecker nicht immer an mir herum! Guck mal in den Spiegel!” Plötzlich hatte er mit der Faust so heftig auf den Tisch geschlagen, dass er selbst vor dem Geräusch erschrak und hörte sich brüllen: „Du lässt dich gehen! Wenn du nur halb so viel auf dich achten würdest wie auf diesen Scheiß-Lebensmittelladen! Brauchst dich nicht zu wundern, wenn ich eines Tages fremdgehe! Du beachtest mich doch nur noch, um mich zurechtzuweisen! Um an mir herumzunörgeln!”
„Aber Hermann!”
„Hau endlich ab, Mensch!”
Das Bier machte seine Laune nicht besser. Er hatte sich eine Schnapsflasche aus dem Laden hochgeholt und sie zur Hälfte geleert. Es war eine Art Wacholder. Er schmeckte ihm nicht. Viel zu warm und zu scharf. Plötzlich war er wild entschlossen, etwas in seinem Leben zu verändern. Warum brauchte er eine Asiatin? War er nicht Kerl genug, seine eigene Frau gefügig zu machen? Musste er sich eine unterwürfige Liebesdienerin kaufen? War er nicht mehr imstande, seiner eigenen Ehefrau zu zeigen, wo es langging? Was war im Laufe der Jahre passiert, dass so ein Waschlappen aus ihm geworden war? Millimeter um Millimeter hatte sie ihn zurechtgestutzt zu dem armseligen, verkrüppelten, nach einem bisschen Zärtlichkeit gierenden Jammerbild, das er jetzt abgab.
Die letzte Bierflasche noch in der Hand stürmte er die Treppe hoch. Jetzt oder nie! Er stürzte durch die Schlafzimmertür und schlug nach dem Lichtschalter. Er traf. Die sechzig-Watt-Birne erhellte das Schleiflack Schlafzimmer nicht genug, um ihn zu ernüchtern. Er riss seiner schlafenden Frau die Bettdecke weg, stand schwitzend, breitbeinig da, um einzufordern, was er für sein Recht hielt.
Sie rollte sich zusammen wie ein Fragezeichen, war noch zu verschlafen, um zu kapieren, was in ihrem Mann vorging, und wollte die Bettdecke wieder über sich ziehen. Er hielt einen Zipfel der Bettdecke in der Hand und schleuderte sie in die andere Ecke des Zimmers.
Jetzt setzte sie sich gerade auf und blinzelte ihn an.
„Zieh dich aus!”, wollte er brüllen. „Hier steht dein Herr und Gebieter! Himmel mich an! Fall auf die Knie vor mir! Frag mich nach meinen Wünschen und sei mir zu Willen!”
Doch das alles schaffte er nicht. Unter ihrem Blick brach er innerlich zusammen. Stammelte nur etwas von ,Entschuldigung, ich hab wohl zu viel getrunken’, holte stumm die Bettdecke zurück, reichte sie ihr und war dankbar dafür, dass sie ihn nicht zur Rede stellte.
In der Küche öffnete er sein achtes Bier. Er trank es stehend aus. Er ekelte sich inzwischen vor seinem eigenen Schweiß. Er beschloss, sich abzuduschen. Aber dann ließ er es doch sein, weil er wusste, wie laut man die Dusche im Schlafzimmer hörte, und er wollte seine Frau in dieser Nacht nicht mehr stören. Er hätte es nicht ertragen, sie jetzt anzusehen. Er kam sich klein vor, dumm und verklemmt. Wie sollte sie Respekt haben vor einem Waschlappen wie ihm? Er hatte ja nicht einmal Respekt vor sich selber. Bei der nächsten Frau, dachte er, bei der nächsten mach ich alles ganz anders.
Unter Marys Blicken würde er nicht zusammenbrechen wie ein Haus aus Bierdeckeln.
Er fühlte unter einer dünnen Haut aus Erziehung, Vernunft und Gewohnheit etwas in sich, das ihm Angst machte. Aber nie war die Haut gestraffter gewesen.
21
Ein Kinoheld, dachte Martin Schöller, könnte aus ihm nie werden. Sein Verhältnis zum Wetter war gestört. Kinohelden konnten mittellos sein, hässlich, gemein, einsam oder dumm. Das Wetter hielt zu ihnen. Wenn sie fröhlich waren, lachte die Sonne, wenn sie von ihrer Geliebten verlassen wurden, weinte der Himmel. Mit ihrer Gemütslage verfinsterte er sich. Bei harten Gefühlsausbrüchen, Angst oder Wahnsinn kam es sogar zu Gewittern. Sein Innenleben hingegen wurde vom Wetter völlig ignoriert. Ließ ihn eine Frau sitzen, so überflutete die Sonne die Landschaft und lockte die Menschen ins Schwimmbad. War er gut gelaunt wie ein Lottokönig, regnete es garantiert wie aus
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