Traumfrau (German Edition)
fühlte sich ein bisschen wie bei der Beerdigung seines Kollegen, Oberstudienrat Dr. Stahlschmidt. Er hätte Stahlschmidts Erben ohrfeigen können aus Zorn über deren Pietätlosigkeit. Noch auf dem Friedhof, bevor der Sarg unter der Erde lag, wurden sie sich einig, wie das Erbe verteilt werden würde. Das Haus sollte unter den Hammer kommen, die Witwe ins Altersheim und dann wollten sie sich auszahlen lassen. Sie waren bester Laune, sprühten geradezu vor Witz, und gleich nachdem der Sarg in das lehmige Loch abgesenkt worden war und ihre Schwiegermutter kraftlos weinend in den Armen der Töchter lag, nutzten die Schwiegersöhne die Chance, sie zu bearbeiten. Es klang alles so fürsorglich. Sie verpackten ihre Lügen geschickt. Frau Stahlschmidt war ihren Schwiegersöhnen direkt dankbar für so viel Fürsorge und Anteilnahme.
Das große Haus mache ihr sowieso zu viel Arbeit. Außerdem dürfe sie jetzt nicht allein sein, jetzt sei sie mal dran, sich pflegen zu lassen nach der schweren Zeit, während Vaters Krankheit. Sie liebten sie und kämen sie abwechselnd besuchen, und die ärztliche Versorgung in dem Heim sei viel besser als irgendwo sonst – dort könne es nicht geschehen, dass sie nach einem Sturz ein paar Tage hilflos in der Wohnung liegen bliebe, bis jemand etwas merkte – von so einem Fall hatten sie angeblich in der Zeitung gelesen, und sie malten ihrer Schwiegermutter nun mit grellen Farben aus, welche Gefahren das Haus für eine allein stehende alte Frau barg.
Er ging nebenher, während die Schwiegersöhne ihr alles abhandelten: ihr Haus, ihr Geld, ihre Selbständigkeit, alles. Er war unfähig einzugreifen. Er ertappte sich sogar dabei, beifällig genickt zu haben, als einer der Schwiegersöhne ihn fragte:
„Gell, Herr Ichtenhagen, es ist doch das Beste für Mutter?”
Ein bisschen fühlte er sich jetzt wieder so.
Während er sein Glas leerte, tröstete er sich damit, dass er Frau Stahlschmidt im Altersheim besucht hatte. Damals wollte er sein Gewissen beruhigen. Wollte zu gern, dass die Lügen der Schwiegersöhne Wirklichkeit würden. Er hoffte, eine glückliche Frau in einem bestens geführten Heim zu treffen. Er fürchtete sich davor, eine zerstörte, entmündigte Persönlichkeit in einem Mehrbettzimmer zu finden.
Geradezu leichtfüßig hatte er damals das Altersheim verlassen. Frau Stahlschmidt hatte ihm immer wieder versichert, wie gut sie es angetroffen habe, dass sie bereits neue Freunde besaß und froh war, das große Haus los zu sein, weil die Arbeit ihr eigentlich schon lang über den Kopf gewachsen war.
Er wollte nur zu gern glauben, was sie ihm sagte, und lobte selbst die Einrichtung des Hauses als vorbildlich. Aber insgeheim glaubte er, dass die alte Frau nicht die Wahrheit sagte. Sie sehnte sich zurück in ihr Haus, wollte raus aus der Obhut der Pfleger, wollte selbst für sich etwas brutzeln und nicht auf die gut gemeinte, magenschonende Küche angewiesen sein. Aber sie stand unter dem Druck, hier glücklich sein zu müssen, sonst hätte sie ihren Töchtern und Schwiegersöhnen ein schlechtes Gewissen bereitet. Und die sollten glücklich sein. Wozu setzt man Kinder in die Welt, wenn man nicht will, dass sie glücklich werden? Dafür nahm sie gern ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf. Ihre Kinder sollten sich keine Sorgen um sie machen. Niemand sollte denken, dass ihre Kinder sie nur abgeschoben hatten. Ja, das Altersheim sei geradezu ihr Lebensziel gewesen. Er selbst nahm ihre Lügen erleichtert auf, schwor sich aber damals, ihm werde so etwas nicht geschehen. Nach dem Tod seiner Frau lehnte er es kategorisch ab, über solche Alternativen auch nur nachzudenken. Dies war sein Haus und darin würde er bis zu seinem Tode wohnen.
Kati hatte ein paarmal gewagt, ein Altersheim ins Gespräch zu bringen. Sie verstand aber sehr schnell, dass mit ihm darüber nicht zu reden war. Sein Schwiegersohn war eh zu dämlich, solch einen Vorstoß verbal auch nur zu wagen. Er spürte, wie sehr er seinem Schwiegervater unterlegen war, und mied deshalb dessen Nähe.
Günther Ichtenhagen hatte Mühe, zu den Gesprächen zurückzufinden und sich auf seine Skatbrüder zu konzentrieren. Aber ein Satz von Martin Schöller und die Reaktion der anderen daraufrüttelten ihn wach:
„Also, die Sache wird leider etwas teurer.”
Hermann Segler schüttelte den Kopf. „Nee, nee. Von wegen etwas teurer. Wir haben sie zum Pauschalpreis gekauft. Das steht hier. Hast du doch vorgelesen.”
„Ja schon. Lothars
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