Traumfrau mit Fangzähnen
und weder rechts noch links von uns konnte man irgendwelche Lichter sehen. Benny schaltete das Radio aus und starrte mit weit aufgerissenen Augen aus dem Fenster auf den Lichtkegel der Scheinwerfer. Sie sah verängstigt aus. »Holst du schon mal dein Handy raus?«, bat ich sie, um sie abzulenken.
Sie kramte in ihrer Handtasche, fand es schließlich und klappte es auf. »Verdammter Mist!«, fluchte sie. »Hier ist kein Netz. Weiß der Geier, wie weit wir zurückfahren müssen, um J anrufen zu können.«
»Vielleicht ist es nur ein Funkloch«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Ich bin mir sicher, dass ich neulich Nacht hier Empfang hatte. Beruhige dich wieder. Es wird schon alles gut. Wir bleiben nur ein paar Minuten, ehrlich.«
»Wenn du das sagst«, erwiderte sie. »Aber draußen ist es so dunkel. Das letzte Mal bin ich in Branson auf so einer Straße gefahren und habe einen Platz gesucht, wo ich mit meinem Freund rumknutschen konnte. Aber ich war viel zu angespannt, um wirklich Spaß zu haben. Ich habe die ganze Zeit an diese dumme Geschichte denken müssen, die den Jugendlichen erzählt wird, damit sie Angst bekommen und nicht irgendwo in der Wildnis parken.«
»Die kenne ich nicht«, sagte ich. Da ich seit dem sechzehnten Jahrhundert kein Teenager mehr war und mich nie mit irgendeinem Jungen auf die Suche nach einem einsamen Parkplatz begeben hatte, war das auch nicht weiter erstaunlich.
»Ach, die ist uralt. Zwei Teenager haben sich am Rande einer dunklen Landstraße ein einsames Plätzchen gesucht, um rumzuknutschen, als sie im Radio hören, dass sich in dieser Gegend ein entlaufener Psychopath herumtreibt. Statt einer Hand habe er einen Haken, mit dem er seine Opfer aufschlitzt. Das Mädchen flippt völlig aus und bittet seinen Freund, sofort wieder nach Hause zu fahren. Sie ist vollkommen außer sich vor Angst. Er will trotzdem bleiben, aber sie fleht ihn an und beginnt zu weinen, so dass er schließlich nachgibt. Als sie zu Hause sind und der Junge um das Auto herumgeht, um die Tür für sie zu öffnen, hängt ein blutiger Haken am Türgriff.
Ach verdammt, Daphne, jetzt denke ich die ganze Zeit an einen Mörder mit einem Haken anstatt einer Hand. Ich bin sowieso immer höllisch schreckhaft, aber jetzt habe ich furchtbare Angst.«
Es war genau Mitternacht, als ich den Smart unter den Ästen der Pinien parkte. Die Scheinwerfer beleuchteten Dutzende weiße Grabsteine. Zeit und Wetter hatten ihnen so sehr zugesetzt, dass die Namen darauf kaum noch lesbar waren. Ich sah zu Benny hinüber. »Bereit?«
»Für so etwas bin ich nie bereit, aber ich steige trotzdem mit aus«, sagte sie und öffnete die Tür. Sie quietschte in den Angeln, und Benny kreischte auf. Ich schaltete die Scheinwerfer aus, kramte die Taschenlampe aus meinem alten, aber immer noch hochgeschätzten Louis-Vuitton-Rucksack und schaltete sie ein.
Auf dem Friedhof war es so still wie in einem Grab. Ich leuchtete mit dem Strahl der Taschenlampe umher und entdeckte ein Kaninchen, das sich zitternd durch die spärlichen Flecken gefrorenen Grases schleppte. Die Kälte strich mit eisiger Hand über meinen Rücken, und unser Atem war so weiß, als atmeten wir Rauch aus. Benny stand neben mir und presste meinen Arm. Ich spürte, wie sie zitterte.
»Lass uns das Gelände einmal umkreisen«, flüsterte ich. Warum ich nicht ganz normal sprach, wusste ich nicht.
»Gute Idee«, stimmte sie zu, »aber wir bleiben zusammen, ja?«
»Natürlich«, erwiderte ich. Bei der Art und Weise, wie sie meinen Arm umklammerte, hätten wir eh keine andere Wahl gehabt. Wir wandten uns nach links und gingen an der Vorderseite des Friedhofes entlang, dann liefen wir nach rechts und auf die Rückseite zu. Ich richtete den Strahl der Taschenlampe vor mich, und plötzlich keuchte Benny auf. Der Lichtkegel beleuchtete einen steinernen Engel auf der Spitze eines kleinen Mausoleums, die Hände gefaltet, die Augen gen Himmel gerichtet und die Schwingen hinter ihm entfaltet. »Das ist doch bloß eine Skulptur auf einer Gruft! Bleib locker, Benny. Hier ist niemand.«
»Das sagst du«, flüsterte sie zurück. »Mir ist das alles ganz und gar nicht geheuer. Hoffentlich finden wir bald dieses Grab, und dann verschwinden wir wieder.«
Piniennadeln knirschten unter unseren Füßen. Abgesehen davon herrschte eine beinahe unheimliche Stille. Eine Schiffshupe ertönte düster aus der Ferne, und nachdem sie wieder verstummt war, schien die Stille nur noch deutlicher hervorzutreten.
Weitere Kostenlose Bücher