Traumhaft verliebt - Roman
Tagen unter dem Mistelzweig im Horny Toad geküsst hatte.
Sarah beobachtete, wie eine nach der anderen ihre Geheimnisse enthüllte. Sarah, die unbeteiligte Beobachterin, die nicht wirklich dazugehörte und die dennoch die Wärme verspürte, welche von dieser Gruppe ausging – eine Außenstehende, die sich am Rand eines Lagerfeuers wärmte. Und sie saß tatsächlich ein wenig am Rand, dem Ausgang am nächsten, ein kleines Stück entfernt vom Rest, eine Besucherin in dieser heilen Welt. Das Gefühl von Einsamkeit und Reserviertheit, das sie oft in Räumen voller Menschen empfand, überfiel sie wieder. Bedrängte sie, drängte sie ins Abseits, bis sie meinte, ganz allein in einer Ecke zu stehen. Alle anderen lachten, redeten und aßen, während sie wie gewöhnlich außerhalb stand und nur zusah.
Sie beobachtete die Frauen und spürte, wie sie wieder in die Spirale des Trübsinns gezogen wurde, der sie seit ihrer frühen Kindheit quälte. Eine düstere Spirale, die sie in ihrer Trostlosigkeit oftmals als merkwürdig beruhigend empfand. Sie umfing sie wie ein kaltes, schwarzes Loch, wann immer sie versuchte, sich irgendwo einzufügen, wohin sie nicht gehörte. Es war offenbar leichter, besser sogar, sich einfach zu separieren, abzusondern, frei zu machen.
Im Augenblick waren ihre Gefühle zu groß, um damit zurechtzukommen. Ihr Wunsch, dazuzugehören, ihre Furcht, dass ihr das niemals möglich sein würde. Die kindliche, allumfassende Liebe, die sie einst für Travis empfunden hatte, und ihre neuen Gefühle für ihn wühlten etwas in ihr auf, das sie nicht klar benennen konnte.
Diese Welt dort draußen, die Welt des First Love Cookie Clubs, war zu strahlend mit ihren Geschichten, ihrer Freundschaft und ihrer Liebe – und sie fegte über Sarah hinweg wie ein Wirbelsturm. Ein Tornado aus Heiterkeit, Wärme und Kameradschaft, die sie so nicht kannte.
Sie erinnerte sich an eine Zeit, als sie klein gewesen war. Vielleicht drei oder vier. Sie hatte allein in der Dunkelheit ihres Kleiderschranks gespielt, hatte sich mit ihrer Fantasiefreundin Sadie zu einer Teeparty eingefunden. Es war in der Vorweihnachtszeit gewesen, vielleicht kurz nach Thanksgiving.
Unten hatten ihre Eltern zu einer Teeparty eingeladen. Es roch nach gebratenem Fleisch und exotischen Gewürzen. Der Lärm von Gelächter, Scherzen und hitzigen Diskussionen drang die Treppe hinauf. In ihrer Abgeschiedenheit, im Bauch ihres Zimmers, fühlte sich Sarah unglaublich geborgen. Könnte sie doch einfach nur hierbleiben – zusammen mit Sadie in der Dunkelheit, im Kleiderschrank, weit weg von all dem Trubel –, würde ihr mit Sicherheit niemals etwas Schlimmes zustoßen. Aber so beruhigend diese schöne Vorstellung auch war, so wusste sie doch, dass sie es nicht schaffen würde, wenn sie diesem Impuls nachgab. Ihr ganzes Leben schien ein einziger, gewaltiger Kampf gegen ebenjenen Drang zu sein, den sie schon in diesem zarten Alter verspürt hatte. Sosehr sie es sich auch wünschen mochte, sie durfte sich nicht dieser Fantasiewelt überlassen, denn ganz davon verschluckt zu werden, war schlimmer als die raue, schmerzliche Verletzbarkeit, die sie in diesem Augenblick empfand.
Mit den Damen des First Love Cookie Clubs in diesem anheimelnden Zimmer zusammenzusitzen, den Plätzchenduft zu atmen, der in der Luft hing, den Geschmack des Eggnog auf der Zunge zu spüren, die lächelnden Gesichter um sich herum zu sehen, all das trieb Sarah die Tränen in die Augen. Wie sollte sie diese Eindrücke verarbeiten, ohne sich selbst dabei zu verlieren? Die Mauer, die sie um sich herum errichtet hatte, ragte zu weit hinauf, Rapunzels Turm war zu hoch.
Sarah drängte ihre Befürchtung zurück, dass es sie in tausend Stücke sprengen und sie nicht in der Lage sein würde, ihr wahres Ich unter den Trümmern zu entdecken. Sie fühlte sich in zwei entgegengesetzte Richtungen gerissen. Ein Teil von ihr wollte fliehen, denn das war der einzige Weg zu überleben, den sie kannte. Der andere Teil flehte voller Sehnsucht nach Anschluss, nach Ganzheit, nach einem Ort, wo sie hingehörte.
Die Damen schlenderten durch die Küche, füllten ihre Teller nach, schenkten sich Wein ein, erzählten weitere Geschichten. In diesem Moment verlor sie den Kampf gegen ihren Fluchtinstinkt. Ruhig stand sie auf.
Niemand bemerkte etwas.
Patsy und Raylene stritten sich munter, die anderen bezogen Position und warfen ihre Kommentare dazwischen. Sarah wusste nicht mal, worum es eigentlich ging. Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher