Traumhaft verliebt - Roman
den Knöcheln. Gut, dass sie Stiefel trug, aber auch die würden bald durchweicht sein.
Eine Krähe flog über ihren Kopf hinweg und krächzte Krah! Krah! Krah! ,als würde sie sie auslachen.
»Du hast recht«, sagte sie, »ich habe Spott verdient.«
Hör auf, mit der Krähe zu reden, und beweg dich.
Wieder trat sie in die Pedale und verlagerte dabei ihr Gewicht nach links. Einen Augenblick hatte es den Anschein, als würde sich das Boot wieder aufrichten, und für einen albernen Moment dachte sie, das Wasser wäre vielleicht nicht durch den Haarriss in der Hülle gedrungen, sondern doch vom Wind hereingedrückt worden, aber diese Hoffnung war von kurzer Dauer. Das Boot senkte sich wieder nach rechts.
Sie rutschte so weit nach links, wie sie nur konnte. Die Sonne war jetzt ganz hinter dem Horizont verschwunden. Bald schon würde es stockdunkel sein. Sie schluckte und tat nicht länger so, als hätte sie die Situation auch nur ansatzweise unter Kontrolle.
Regen lag in der Luft, und es roch nach Fisch. Großartig. Bald schon würde sie selbst bei den Fischen liegen.
Sie lachte nervös. Das Wasser stieg weiter, über die beiden Fußräume hinaus. Das Tretboot neigte sich nach vorne. Sarah saß zusammengekauert auf der linken Seite, die Knie an die Brust gezogen.
Langsam fing das Boot an zu sinken. Das Wasser kam näher und näher. Es wurde dunkler und dunkler. Kälter und kälter. Sarah schauderte.
Verzweifelt blickte sie über den See, doch alles, was sie sah, war tiefblaues Wasser. Kein Ufer, keine anderen Boote. Nicht mal eine Boje, zu der sie hätte schwimmen können.
Nicht mehr lange, dann würde das Wasser die gesamte Vorderseite überflutet haben. Das Boot sank jetzt schneller. Vorsichtig kletterte Sarah nach hinten.
Schließlich hatte das Wasser auch den Rücksitz erreicht und umwirbelte ihre Knöchel. Sie zog die Beine an und kauerte sich zusammen, die Schultern nach vorn gezogen, die Arme um sich geschlungen, vollkommen hilflos. In wenigen Minuten wäre sie im Wasser, und es würde nicht lange dauern, bis sie unterging. Sie stellte sich schon die Schlagzeile vor: Gesellschaftsfeindliche Kinderbuchautorin ertrinkt im Lake Twilight.
Das war’s. Es war vorbei. So würde sie also sterben.
Kapitel elf
L angsam ging die Sonne im winterlichen See unter. Die scharfen gelben Kanten schoben sich unter einen verträumten Dunstschleier aus lilastichigem Blau, der genau dieselbe spektakuläre Farbe hatte wie Sarahs Augen und zunehmend die Grenze zwischen Ufer und Wasser verschwimmen ließ. Die nackten Zweige der in den Himmel ragenden Bäume verwischten, ebenso die Konturen der Festmacherboote im Hafenbecken. An jenem Abend beschleunigten ein feiner Nebel, der sich wie eine graue Decke über den See legte, und ein starker Wind den Einbruch der Abenddämmerung. Der Hafen war in ein milchiges orangerotes Licht getaucht.
Travis nahm den Moment in sich auf. Der Vater eines chronisch kranken Kindes zu sein hatte ihn gelehrt, den Augenblick zu genießen. Seine Lungen im Bruchteil einer Sekunde damit zu füllen, ihn so lange wie möglich auszukosten und seine Einzigartigkeit zu würdigen. Er liebte den Winter im Allgemeinen und vor allem die Vorweihnachtszeit. Doch dieses Jahr war etwas ganz Besonderes. Dieses Jahr war Jazzy zum ersten Mal seit vier langen Jahren nicht mehr Sklavin ihres Asthmas. Es war wahrhaftig ein Weihnachtswunder, eins, das er niemals vergessen würde.
Überraschenderweise stellte er fest, dass er sich wünschte, Sarah wäre bei ihm – ein Gefühl, das er sogleich zu unterdrücken versuchte. Es hatte keinen Sinn, sich etwas zu wünschen, das er – wie er sehr gut wusste – nicht haben konnte, trotzdem konnte er nicht aufhören, an sie zu denken.
Travis hätte gern gemeinsam mit ihr den Sonnenuntergang genossen, hätte sich gern an ihrer Gesellschaft erfreut, solange sie hier in Twilight war. Aber er musste an Jazzy denken. Er durfte das nicht tun. Er durfte nichts mit Sarah anfangen, wenn ihm von vornherein klar war, dass das mit ihnen keine Zukunft hatte. Sie hatte mehr verdient als ein vorübergehendes Techtelmechtel und er genauso. Mit flüchtigen Affären hatte er abgeschlossen. Er wusste, dass auf das vorübergehende Hochgefühl schon bald eine große Leere folgte. Nein, er war bereit für etwas Beständigeres in seinem Leben, und vielleicht war jetzt, da es Jazzy besser ging, wirklich der richtige Zeitpunkt dafür. Doch Sarah würde schon am Sonntag die Stadt verlassen. Die Zeit
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