Traumjäger (German Edition)
meine Ohren getäuscht hatte, gerade in diesem Moment zuckte ein Blitz am schwarzen Himmel auf. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war der Strand hell erleuchtet, doch es reichte aus, um zwei schwarze Gestalten zu erkennen. Zwei Männer, die miteinander kämpften. Kurz darauf folgte ein weiterer Blitz. Er war tausendmal greller als sein Vorgänger. Sein Licht blendete so sehr, dass ich den Arm heben musste, um meine Augen zu schützen. Ich konnte gerade noch erkennen, wie die eine schwarze Gestalt floh und die andere sie jagte. Und noch etwas nahm ich wahr: etwas Kleines, Funkelndes lag auf dem nassen dunklen Sand…
Dann war es wieder stockfinster um mich herum. Der Sturm ließ nicht nach in jener Nacht. Ich hörte den Wind heulen, ich hörte die Brandung der Wellen, die an den Strand rollten, ich hörte das unruhige Prasseln des Regens gegen die Fensterscheibe. Doch Stimmen hörte ich in dieser Nacht keine mehr.
Ich weiß noch ganz genau, wie ich am nächsten Morgen noch vor dem Frühstück aus dem Haus lief und an den Strand rannte. Der feuchte Sand klebte an meinen Schuhen. Ich suchte nach Spuren des Kampfes, von dem ich Zeuge geworden war. Doch es war nichts zu erkennen. Der Regen hatte die einzigen Beweise, die Fußabdrücke, längst säuberlich weggewischt. Fast zweifelte ich daran, ob ich tatsächlich etwas gesehen hatte, oder ob es doch nur ein Traum gewesen war. Dann fand ich die Uhr.
Bevor wir letztes Jahr nach Hause fuhren, hatte ich sie hier im Zimmer versteckt. Sie war mein Geheimnis und sollte es bleiben.
Doch, wie ihr selber bestimmt wisst, ein ganzes Jahr dauert schrecklich lange, und ich hatte schon seit geraumer Zeit nicht mehr an die Uhr gedacht. Jetzt lag sie, klein und glatt, wieder in meiner Hand, und ich fühlte den Zauber, der sie umgab. Behutsam verstaute ich sie sicher in meiner Hosentasche.
„Wir gehen wandern, Andy. Das bisschen Regen stört nicht. Kommst du mit?“, rief mein Vater von unten herauf. Meine Eltern hatten fertig ausgepackt. Einen Moment lang zögerte ich, doch dann fiel mein Blick auf den Stapel Bilder, den mir Tom mitgegeben hatte.
„Nein! Ich komme morgen mit. Es wird eh gleich dunkel!“, antwortete ich durch das Treppengeländer hindurch. Tatsächlich wollte ich mich viel lieber auf meine nächste Unterrichtsstunde vorbereiten. Zwar hatte ich ein etwas schlechtes Gewissen meinen Eltern gegenüber, doch ich konnte ihnen ja nicht sagen, was mich wirklich vom Spaziergang abhielt. Ich setzte mich auf mein Bett und wartete darauf, dass die Tür unten ins Schloss fiel. Dann holte ich die schwierigeren Bilder hervor. Die, die mich noch immer locken konnten. Vorsichtshalber stellte ich mir den Wecker im Minutentakt, sodass mich sein erbarmungsloses Schellen in jedem Fall aus den Träumen zurückholen konnte. Ich hob das erste Bild vor meine Augen…
Kopfüber tauchte ich ein in die magische Unterwasserwelt. Ich schwamm mit den buntesten Fischen, die man sich vorstellen kann, durch die farbenfrohesten Korallen, die es nur gibt. Seepferdchen schwebten schwerelos durch das kühle, kristallklare Wasser. Es war wunderbar, sich von der sanften Strömung von einer Richtung in die andere treiben zu lassen. Auf dem Grund tanzten lustige Sonnenflecken. Ich streckte meine Hand aus, um nach einer wunderbaren blauen Muschel zu greifen…
Der Wecker brachte mich zurück. „Mist!“
Verärgert zog ich mir die nassen Klamotten aus, rannte ins Badezimmer und kam mit einem Stapel Handtücher zurück. Die würde ich wohl brauchen. Dem Bild zu widerstehen, war wirklich schwer. Nur mit einer Badehose bekleidet wagte ich den nächsten Versuch:
Da waren bunte Korallen abgebildet. Die schönsten Farben der ganzen Welt waren in diesem Bild vereint…
Es war einfach herrlich, durch das sanfte Wasser zu gleiten! Das Sonnenlicht, das zu uns Wasserwesen von einem fernen, unbekannten Himmel herabfunkelte, schuf geheimnisvolle, schimmernde Blautöne. Und ich war Teil dieser Welt. Element des Wassers, Element der Farben. Ja, dieses Blau! Dieses wunderbare, ewige Blau in all seinen Schattierungen, das so fantastisch leuchtete, dass man den Wunsch verspürte, sich sogleich darin zu verlieren…
Tropfend stand ich in dem kleinen Zimmer und rieb mich mit einem Handtuch trocken. Das Gefühl der Entmutigung, das sich leise einschlich, versuchte ich tapfer zu ignorieren. „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, Andy!“, tröstete ich mich selbst.
Ich übte und übte, verbrauchte ein
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