Traumjäger (German Edition)
jemals irrte. Deswegen hielt ich mich daran und übte nur unter größter Vorsicht.
Es regnete auch noch, als wir vor dem kleinen, altbekannten Ferienhäuschen parkten und die Koffer in das Haus trugen. Aber der Regen war nicht mehr ganz so heftig, sondern trommelte nur ganz sanft gegen die Scheiben, wie mit Fingerspitzen.
Ich lief die Holztreppen hoch in das Zimmer unter dem Dach, das ich immer bezog, wenn wir hier waren. Es war klein, aber sehr gemütlich mit den schrägen Holzbalken an der Decke. Für Erwachsene war dieses Zimmer nichts. Sie hätten sich wahrscheinlich ständig den Kopf an den harten Balken gestoßen. Aber für ein Kind war es großartig! Besonders liebte ich die Aussicht von hier oben. Sofort streckte ich meinen Kopf aus der Dachluke und ließ den Regen auf mein Gesicht prasseln. Von hier aus konnte ich über einen kleinen Strand hinweg bis auf das graue, aufgewühlte Meer sehen. Die Tropfen rollten mir in die Augen, in die Nase und in den Mund.
Der Regen hier am Meer war anders als der Regen in der Stadt. Jeder, der beides schon einmal erlebt hat, weiß das. Man schmeckt das Salz auf der Zunge, wenn man sie nur weit genug herausstreckt. Und das tat ich!
Nach einer Weile jedoch hatte ich genug Salz auf der Zunge geschmeckt und schloss das Fenster wieder. Ich rubbelte mein Gesicht an meinem Pullover trocken. Es war schön, wieder hier zu sein.
Ich ließ mich auf das Bett fallen und betrachtete die Balken über mir. Und wie ich sie so betrachtete, erinnerte ich mich plötzlich an etwas aus dem vergangenen Jahr. Es war etwas, das ich gefunden und hier versteckt hatte.
Ob es noch da war?
„Lass es bitte noch hier sein!“, flüsterte ich. Vorsichtig tastete ich die niedrigen, schrägen Deckenbalken ab. Welcher war nur der lockere Balken?
Da, das Holz ließ sich unter meinen Fingern bewegen. Behutsam schob ich den Balken ein paar Zentimeter von seiner ursprünglichen Position weg und griff in das kleine, dunkle Loch, das hinter ihm frei wurde.
Nur eine Kinderhand, nicht größer als meine, passte in das Loch und konnte das kleine Päckchen aus dem Versteck ziehen, das seit einem Jahr hier auf mich gewartet hatte.
Vorsichtig zog ich das Gummiband, das das alte Papier zusammengehalten hatte, von dem Päckchen und öffnete es. Da war sie! Rund, glatt und ganz aus Gold. Meine Taschenuhr!
Ein Ziffernblatt war nicht zu erkennen, da der Deckel fest verschlossen war. Trotzdem wusste ich, dass es eine Uhr war. Leise hörte ich es aus dem goldenen Inneren ticken, wenn ich sie mir dicht ans Ohr hielt.
Lange hatte ich versucht, sie zu öffnen. Doch es war stets vergeblich gewesen. Es gab keinen Knopf, der, wenn er gedrückt wurde, den Deckel aufschnappen ließ, noch konnte man einen anderen Schließmechanismus erkennen.
Auch jetzt suchte ich wieder nach einer Möglichkeit, der goldenen Uhr ihr innerstes Geheimnis zu entlocken. Ich suchte und suchte. Drückte mal hier, schraubte mal dort. Doch wieder scheiterte ich. Sie blieb fest verschlossen. Enttäuscht blickte ich auf das goldene Schmuckstück in meiner Hand.
Unten hörte ich, wie meine Eltern ihre Koffer auspackten. Ich hörte die Schranktüren quietschen, als sie Pullover und Hosen auf die Bügel hängten. Die Scharniere mussten wieder einmal geölt werden.
Doch an all das dachte ich nicht, denn ich hielt die Uhr in der Hand. Es war wirklich eine wunderschöne Taschenuhr: Am Rand des Deckels waren in liebevoller Detailarbeit kleine Rosenranken eingraviert. Diese kleinen zarten Linien verstärkten in mir noch mehr den Eindruck, dass diese Uhr ein wundervolles Geheimnis barg. Eine kleine Öse am Rand verriet mir, dass sie einmal an einer langen Kette getragen worden war. Doch die hatte ich nicht gefunden. Nur die Uhr lag damals im feuchten Sand.
Noch ganz genau erinnerte ich mich an jene dunkle Herbstnacht des vorigen Jahres, in der ich nicht hatte schlafen können, weil es draußen so sehr gestürmt und gewittert hatte. Stimmen hatten mich damals aus dem Bett heraus ans Fenster getrieben…
Der Wind heulte und pfiff, aber dennoch meinte ich, draußen etwas gehört zu haben. Wütende Stimmen, Schreie, die der Wind verzerrt und undeutlich zu mir herauf trieb. Ich rieb das beschlagene Fensterglas sauber und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Doch ich sah nichts außer schwarzer Finsternis. Der Regen erschwerte die Sicht zusätzlich. Gerade als ich mich wieder zurück ins warme Bett begeben wollte, da ich dachte, dass der Wind
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