Traumjäger (German Edition)
ein Fehler, dass ich Tom in dieser Nacht nichts von der Uhr berichtet habe, die leise in meiner Hosentasche tickte.
Vielleicht hätte ich mich besser gefühlt, wenn ich darüber geredet hätte. Vielleicht hätte ich dann nie auf diesem alten Baum, in dem verwilderten Garten vor dem Häuschen gesessen und auf das Zeichen gewartet, das Tom mir geben wollte. Ein Zeichen, das niemals kommen sollte!
Aber es nützt jetzt nichts, darüber zu grübeln. Es ändert sowieso nichts mehr.
In dieser Nacht sagte ich Tom jedenfalls kein Wort von dem, was vorgefallen war. Heute weiß ich nicht einmal, warum ich es verschweigen wollte.
„Alles ist in Ordnung!“, lenkte ich ab. Tom betrachtete mich noch eine Weile. Dann lächelte er.
„Hast du geübt?“
„Oh ja, und wie!“
Stolz berichtete ich ihm von meinen Erfolgserlebnissen. Tom strahlte. „Ich wusste, dass du es schaffst! Gut, dann können wir heute ja weitermachen. Die nächste Lektion besteht darin, deinen Träumen nicht zu viel Spielraum zu lassen.“
Fragend blickte ich ihn an. Das musste er mir genauer erklären.
„Na, wie oft kommt es denn vor, dass ein Traum wunderschön anfängt, und dann, ganz plötzlich, nimmt er eine schreckliche Wendung! Du sollst lernen, den Traum in deinen Bahnen zu lenken. Du sollst lernen, den Traum im Zaum zu halten.“
Ich begriff, worauf er hinaus wollte. „Bist du bereit?“ Gespannt nickte ich.
Ein schmaler Bach plätscherte vergnügt vor meinen Füßen. Es machte Spaß, über ihn hinweg zu springen. Von der einen Seite auf die andere, von der anderen auf die eine Seite. Hin und her. Die Sonne kitzelte sanft mein Gesicht, und die Schmetterlinge ließen sich von mir jagen. Ich folgte dem kleinen Bach, der sich über Stock und Stein seinen raschen Weg bahnte. Wer war schneller? Das Wasser oder ich? Wir spornten uns gegenseitig an. Der Bach wurde breiter, rauschender. Ich nahm es mit den Stromschnellen auf. So flink lief ich, so schnell! Ich war schneller als das Wasser! Schneller als der Wind! Triumphierend hüpfte ich auf einen großen Stein neben dem reißenden Bach und streckte die Hände in den Himmel. Ich war Sieger! Andreas Muskert! Bezwinger des Wassers! Bezwinger des Windes! Ich sprang in die Luft.
Bei der Landung jedoch glitt mein Fuß von dem glitschigen Stein, und ich verlor urplötzlich das Gleichgewicht. Ich purzelte in das eisige Wasser, das mich erbarmungslos mit sich riss. Gerade hatte ich noch gejubelt, nun drückten mich Strudel unter die Oberfläche. Ich schluckte Wasser. Prustete, hustete, schnappte nach Luft, schluckte wieder Wasser. Es schäumte um meinen Kopf herum. Das Rauschen nahm zu. Stetig. Es donnerte regelrecht. Ich wusste, was hinter der nächsten Biegung auf mich wartete. Ich konnte den Wasserfall hören, auf den das drängelnde Wasser zusteuerte! Ganz so, als könnte es kaum erwarten, sich in den Abgrund zu stürzen und mich mit sich zu reißen. Ich hatte Angst. Da, da vorne, da kippte das Wasser schon weg, so als hätte der Fluss mitten in der Luft aufgehört zu fließen! Noch ein paar Meter, nur noch ein paar Meter!
„Siehst du jetzt, was ich meine?“, fragte mich Tom, während er mir ein Handtuch reichte und mich trocken rubbelte. Ich nickte bibbernd.
Warum nur wurde ich heute ständig nass?
„Willst du es noch einmal versuchen?“
„Ja, aber geht es diesmal bitte ohne Wasser?“
Tom lächelte verschmitzt. „Klar. Aber versuche, dich diesmal wirklich zu wehren. Lass dir nichts von den Träumen diktieren, was du nicht erleben möchtest. Vergiss nicht: Es sind deine Träume! Also kontrolliere sie auch!“
Ich gab mir große Mühe. Es waren meine Träume, natürlich. Doch sie waren enorm schwer zu bändigen. In den nächsten Stunden stürzte ich von hohen, kantigen Felsen, schwamm in einem glühenden Feuermeer und wurde von wilden, hungrigen Tieren gejagt. Manchmal hätte es wirklich übel ausgehen können, wenn Tom nicht stets mit wachsamen Augen über mich gewacht hätte, um mich rechtzeitig zurückzuholen.
Wir übten auch in den nächsten beiden Nächten, doch der Erfolg stellte sich nur sehr mäßig ein, und ich erlitt oft harte Rückschläge.
„Ich schaff es einfach nicht!“ Erschöpft und entmutigt ließ ich mich an einem Abend in den dunkelblauen Samtsessel fallen. Tom blickte mich nachdenklich an.
„Woran liegt es?“, fragte er mich. Tja, diese Frage hätte ich ihm gerne gestellt! Ich seufzte. „Keine Ahnung. Ich habe einfach Angst, wenn diese schlimmen Dinge
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