Traumjäger (German Edition)
in einem schlimmen Traum, als ich dir die Nachricht schickte?“
Ich rutschte ein Stückchen tiefer in den Sessel. Die schwarze Gestalt, die aus dem Bild herauskam und sich drohend über mich beugte, sah ich noch deutlich vor Augen. „Ja.“
Tom nickte nachdenklich und stand auf. Er lief im Zimmer auf und ab und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, so wie ich es ihn schon oft hatte machen sehen.
„Dieses Licht, das du gesehen hast, Andy – ich vermute, das war das Licht der Träume. Weißt du, es ist seltsam, dass es dir erschienen ist. Es passiert nämlich nicht oft, dass es erscheint. Der Traum muss wirklich böse gewesen sein!“
Er blickte mich prüfend aus dem Augenwinkel an. Als ich nichts erwiderte, fuhr er fort:
„Dieses Licht ist eine ureigene Sache der Träume. Es erscheint nur manchmal, nur dann, wenn der Traum am schlimmsten ist – und macht alles wieder gut. Das Licht der Träume ist das reine Gute. Und das Gute hat viele Gesichter. Noch viel mehr als das Böse! Es zeigt sich dir in allen möglichen Varianten, wie du es gerade brauchst. Es kann in Form eines Falken erscheinen, aber auch als Sternschnuppe, als Baum, als…“ Tom suchte nach Worten.
„Als Blitz?“, fragte ich leise. Ich hatte das komische Gefühl, dass auch Tom das Licht der Träume schon einmal benötigt hatte. Tom sah mich erstaunt an. Sein Blick drang tief in mich hinein.
„Ja – auch als Blitz.“ Nachdenklich musterte er mich. „Andy“, sagte er schließlich. „Wir sind doch Freunde. Gibt es irgendetwas, das du mir vielleicht erzählen möchtest?“ Bis heute weiß ich nicht, was mich zurückgehalten hat, mein Herz vor Tom auszuschütten. So schüttelte ich nur leise den Kopf. Wir schwiegen eine Weile. Spannung lag in dem kleinen Raum.
„Wer sind die Traumlosen, Tom?“, flüsterte ich schließlich. Tom zögerte eine Weile, dann ließ er sich seufzend in seinen großen Samtsessel sinken und gab sich geschlagen.
„Na gut.“, lächelte er mich an, „Ich glaube, du bist doch so weit, dass ich es dir erzählen kann.
Die Traumlosen, so nennen wir die Menschen aus dem Land ohne Träume. Sie sind gefährliche, dunkle Gestalten ohne Mitleid, ohne Gefühl. Sie meiden das Licht, Andy, weil sie ohne Freude sind. Sie leben im Land ohne Träume, das von Sorgul regiert wird, dem Herrscher der Dunkelheit. Er schickt seine Diener aus, um den Menschen die Träume zu rauben, damit sie so werden wie sie – weitere traurige Knechte in seinem trostlosen Land. Man muss sich vor ihnen in Acht nehmen. Oh ja, das muss man.“
Tom seufzte tief und machte eine lange Pause. Fast dachte ich, er würde nicht mehr weiterreden. Aber er tat es.
„Die Traumlosen hassen Träume, weil sie selbst keine haben. Sie benutzen deine, um an dich heranzukommen. Sie hassen sie, und wollen sie zerstören. Alle Träume. Deswegen wollen sie auch die Uhr, die eine Uhr! Wenn sie es schaffen, diese zu zerstören, dann ist die Welt verloren unter der Herrschaft der Dunkelheit.“
„Wieso haben sie keine Träume?“, fragte ich atemlos. Tom hob eines seiner Souvenirs vom Schreibtisch auf und betrachtete es, ohne es wirklich wahrzunehmen.
„Es ist so Andy: die Traumlosen sind gefangen in einem gefährlichen Kreis, in den man nur zu leicht hineingerät, aber aus dem man nur schwer wieder ausbrechen kann. Wenn überhaupt. Schau:
Die Traumlosen haben keine Träume.
Deshalb sind sie ohne Hoffnung.
Sie haben keine Hoffnung.
Deshalb empfinden sie keine Freude.
Es geht aber auch andersherum:
Sie empfinden keine Freude,
daher sind sie ohne Hoffnung.
Und wer ohne Hoffnung ist,
der hat auch keine Träume.
Es gibt kein Entrinnen aus diesem Teufelskreis.“
Wie schrecklich, dachte ich. Keine Freude, keine Hoffnung, keine Träume. Die Traumlosen mussten ein furchtbares Dasein führen. Um nichts in der Welt wollte ich mit ihnen tauschen.
„Wo ist das Land ohne Träume?“, fragte ich.
„Das weiß ich nicht.“, sagte Tom. „Den Weg dahin kennen nur die Traumlosen. Ich hoffe inständig, dass weder du noch ich dieses Land je sehen werden!“
Das hoffte ich auch. Es musste ein unheimliches, dunkles Land sein.
„Und die Uhr, die du verloren hast – haben die Traumlosen sie gefunden?“
Tom schüttelte den Kopf. „Nein. Sie wollten sie natürlich haben! Jeder will sie haben, sie ist das Herzstück der Träume! Sie verfolgten mich, jagten mich, den Traumjäger, den Traumhüter! Ich kämpfte verbissen mit einem von ihnen. Wir hielten die Uhr
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