Traumjäger (German Edition)
her, doch es war zu spät. Die Tür war verschwunden.
„Nein!“, schrie ich. Unheimlich hallte mein Schrei durch den fremden Raum. Ich war allein in dem dunklen Zimmer. Allein. Verzweifelt ließ ich mich auf den Boden sinken, verbarg meine Augen unter den Händen und schluchzte. Ich hatte mir alles so schön vorgestellt, hatte alles so gut geplant. Und jetzt war alles ganz anders gekommen, so schrecklich anders!
Kapitel 13
Traumjäger
W enn man allein in einem dunklen, fremden Raum sitzt und weint, verliert man leicht das Gefühl von Zeit. Das habe ich am eigenen Leib erfahren müssen. Ich weiß nicht, wie lange ich schluchzend dasaß, mit angezogenen Knien und verborgenem Gesicht.
Ich nahm das leise Ticken unzähliger Uhren gar nicht wahr. Erst als ein Arm sich zärtlich um meine Schultern legte, schaute ich auf. Verschwommen sah ich Nickys gutmütiges Gesicht vor mir. Mit einem Taschentuch tupfte sie mir behutsam die letzten Tränen aus den rot verquollenen Augen.
Verwundert blickte ich mich um. An den hellen Wänden hingen wieder Uhren, sie tickten! Manche Zeiger leuchteten geheimnisvoll. Ich war wieder in dem Uhrenzimmer.
„Alles wieder gut?“, fragte Nicky besorgt.
Ich richtete mich auf, griff in meine Tasche. Sie war leer. Entsetzt riss ich die Augen auf. „Sie ist weg.“, flüsterte ich. Nicky lächelte mich traurig an. „Ich weiß.“ Sie zeigte auf den Nagel, an dem diesmal keine Kette hing.
„Ich hatte die Uhr, Nicky! Ich hatte sie, ich wollte sie zurückbringen! Es war eine Falle!“, rief ich verzweifelt. Nun war ich bereit, alles zu gestehen. Wenn ich die Zeit doch nur zurückdrehen könnte!
Nicky lächelte immer noch. „Ich weiß.“, sagte sie erneut. „Du… du weißt es?“ Sie nickte. „Ja, ich bin eine Traumhüterin, Andy. Ich habe die Uhr gestern Nacht, als du hier warst, in deiner Tasche ticken hören.“
„Warum hast du nichts gesagt?“, hauchte ich atemlos.
„Ich wusste, dass du sie zurückbringen würdest. Es wäre weder schön noch höflich gewesen, wenn ich dich vor meinem Vater gebeten hätte, deine Taschen zu leeren.“
„Weiß Tom auch, dass ich die Uhr hatte?“, wisperte ich.
„Nein.“, sagte sie langsam. „Er ist kein Traumhüter. Nicht mehr. Die Ohren verlernen zu schnell, auf das zu hören, was nicht hörbar ist. Er weiß nichts von der Uhr. Er weiß nicht, dass du sie hattest, und er weiß auch nicht, dass sie weg ist. Aber du wirst es ihm sagen müssen.“
Erschrocken blickte ich sie an. Wie sollte ich Tom, meinem lieben, guten Tom, sagen, dass ich die eine Uhr, das Herzstück der Träume, geradewegs zu den Traumlosen geführt hatte?
Wie sollte ich Tom erklären, dass ich für den Untergang der Traumwelt verantwortlich sein würde? Der Gedanke schnürte mir die Kehle zu.
„Na, komm schon.“, tröstete mich Nicky. „Mein Vater ist kein Ungeheuer. Er hat mehr Verständnis als sonst irgendjemand, den ich kenne. Außerdem, er hat die Uhr schließlich auch schon einmal verloren! Ja, wir haben alle Fehler gemacht. Aber du musst dich beeilen. Irgendetwas müsst ihr unternehmen. Irgendetwas muss geschehen. Und zwar schnell!“
Sanft schubste sie mich durch den Gang und öffnete die Tür zu Toms Zimmer. Sie nickte mir aufmunternd zu. Sie konnte tatsächlich genauso schön nicken wie Tom! Ich nahm allen Mut zusammen und schritt durch die Buchschranktür.
Tom hörte mir schweigend und aufmerksam zu, als ich ihm alles erzählte. Ich berichtete ihm, was ich in jener dunklen Nacht vergangenen Jahres gesehen hatte. Wie ich die Uhr gefunden, wo ich sie versteckt hatte. Wie sie am Abend zuvor in meiner Tasche gewesen war und ich sie nicht hatte hergeben wollen. Ich erzählte Tom von der Überraschung, die ich für ihn geplant hatte, und von der Falle der Traumlosen.
Er äußerte nur kurze Zwischenfragen. „Haben sie dir wehgetan?“ „Nein.“, sagte ich und rieb mir die Handgelenke.
Doch die meiste Zeit über saß Tom mit regungslosem, ernstem Gesicht in seinem großen Stuhl hinter dem Schreibtisch und hörte mir zu. Zum Schluss konnte ich nicht mehr an mich halten, und die Tränen liefen mir nur so über das Gesicht. Aber Tom schimpfte kein bisschen mit mir! Stattdessen nahm er mich in den Arm und tröstete mich. Es gibt wirklich keinen besseren Menschen auf der Welt als Tom!
Als ich mich wieder beruhigt hatte, blickte er mir ernst in die Augen. „War die Uhr offen?“, fragte er leise. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich wusste nicht, wie man
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