Traumjäger (German Edition)
geheimnisvoll.
Nicky, die Traumhüterin, war nicht hier. Das war der einzige Unterschied, der einzige Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmen konnte – und ich nahm ihn nicht wahr! Der wichtigste Raum der Traumjäger war unbewacht, und ich übersah diese Tatsache einfach!
Ich denke, ich war einfach zu aufgeregt. Ich freute mich so sehr auf den überraschten Ausdruck auf Toms Gesicht, wenn er sah, dass ich ihm den Schatz zurückgebracht hatte. So sehr, dass alles andere in den Hintergrund geriet. Wie stolz er wohl auf mich sein würde!
An dem kleinen Nagel an der Wand hing die goldene Kette. Ich nahm sie vom Haken und ließ sie durch meine Finger gleiten. Wie weich und kühl sie sich anfühlte, wie geschmeidig. Sie passte zu meiner Uhr. Keine andere Kette hätte zu der kunstvoll gefertigten Uhr gepasst, wenn nicht diese. Vorsichtig holte ich die goldene Uhr aus meiner Tasche und zog die Kette durch die kleine Öse. Sie passte wie angegossen. Sanft baumelte die Taschenuhr an meinem Finger. Verträumt betrachtete ich die eingravierten, zarten Rosenranken, als mir auf einmal schrecklich bewusst wurde, dass es im Raum still geworden war. Unheimlich still. Nur die kleine Uhr in meiner Hand tickte tapfer, leise und unbeeindruckt vor sich hin. Erschrocken blickte ich mich um. Die Uhren, sie waren nicht mehr da! Sie hingen weder an den Wänden, noch lagen sie auf den Tischen! Ich war in einem fremden Zimmer, einem Zimmer, das ich noch nie zuvor betreten hatte!
Zu spät erkannte ich die Falle, in die ich geraten war.
Die Wände waren schwarz, es war kalt. Unwillkürlich wich ich ein paar Schritte zurück. Das Licht wurde schwächer, ganz so, als würde es vor der plötzlich eingetretenen Dunkelheit zurückweichen und sich vor dem fürchten, was kommen würde. So wie ich.
Mit Schrecken sah ich, wie sich aus dem Nichts eine Tür einen Spaltbreit öffnete. Eine Tür, die meinen Augen bislang verborgen geblieben war. Eine Hand legte sich um den Türrahmen. Ich erkannte die langen, knöchrigen Finger sofort. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Dann drang ein seltsames Geräusch an meine Ohren. Der Mann hinter der Tür lies die Luft zischend in seine Nase strömen. So, als wollte er alle Luft aus dem Raum saugen und mir den Atem nehmen.
„Er ist hier“, sagte eine kalte Stimme. „Er ist hier. Wir haben ihn.“
Die Tür wurde aufgestoßen und drei Männer in schwarzen Umhängen stürmten in das Zimmer. Ich tastete mich an der Wand entlang, doch es gab nichts, wo ich mich hätte verstecken können. Unbarmherzig blickten mich die leeren Augen der Traumlosen an. Meine Knie zitterten, ich sank auf den Boden. Drohend kamen sie auf mich zu. Sie packten mich und zogen mich hoch. Ich wollte schreien, doch keinen Laut brachte ich über meine trockenen Lippen.
Eisigkalt brannte der harte Griff ihrer knöchrigen Finger auf meiner Haut. Unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, hing ich zwischen den beiden Schattenmännern, kraftlos und starr vor Angst. Ich hatte wirklich noch nie solche Angst gehabt! Lähmende Angst!
Du musst lernen, deine Angst zu überwinden! Deutlich hörte ich Toms Stimme in meinem Inneren. Ich will ja! Doch die Furcht war einfach zu überwältigend.
„Wo ist sie?“, zischte der dritte Traumlose und blickte mich aus kalten Augen an. „Wo hast du sie versteckt?“ „Ich…ich…“
Niemals würde ich ihnen sagen, wo ich die Uhr hatte! Leider brauchte ich das auch gar nicht. Einer der Traumlosen hatte die fein geschmiedete, goldene Kette entdeckt, die aus meiner Hosentasche baumelte. Er zog daran. Mit einem Ruck kam die Uhr zum Vorschein und baumelte zart und unschuldig an seinen grauen, dürren Fingern.
„Gib sie her!“, schrie ich. Mit einem Mal hatte ich wieder eine Stimme. „Sie gehört mir, ihr könnt sie mir nicht wegnehmen. Ihr dürft sie nicht haben!“
Heftig wehrte ich mich gegen den unnachgiebigen Griff der schwarzen Gestalten. Ich nahm nun meinen ganzen Mut, meine ganze Kraft zusammen. Doch sie lachten nur hämisch auf mich herab.
„So, können wir also nicht? Sieh sie dir gut an, kleiner Junge.“ Der Traumlose ließ die Uhr vor meinen Augen baumeln. „Es ist nämlich das letzte Mal, dass du sie siehst! Sag deinen Träumen Lebwohl!“
Damit schnappte er die Uhr und ließ sie in seinem weiten Gewand verschwinden. Er winkte seinen Helfern zu. Sie stießen mich unsanft auf den Boden und verschwanden lautlos durch die Tür. Schnell rappelte ich mich auf und rannte hinter ihnen
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