Traumjäger (German Edition)
Nase nahm einen üblen Geruch wahr, aber daran verschwendete ich keinen Gedanken. Mit scharfen Augen suchte ich das Ufer ab.
Weit und breit war kein zweites Boot zu erkennen, das ich hätte nehmen können, um den Traumlosen hinterher zu rudern. Wieder machte sich Verzweiflung in meinem Herzen breit. Dort, in dem Boot, der winzige Punkt auf dem dunklen See, dort war Tom und wurde in eine ungewisse Dunkelheit gebracht, und ich konnte nicht hinterher!
Aber ich musste! Und wenn ich hinterher schwamm! Ja, das war doch eigentlich die Idee! Schwimmen konnte ich gut!
Hastig zog ich mir einen Schuh aus und testete das Wasser vorsichtig mit dem Zeh. Doch so rasch mir die Idee gekommen war, so schnell verwarf ich sie wieder: Angewidert riss ich meinen Fuß aus dem Wasser, mich schauderte. Nicht nur, dass der See eisig kalt war, nein! das hier war überhaupt kein Wasser! Dieser See bestand aus einer einzigen zähen, schwarzen Masse, die ich mir schleunigst mit der Decke von den Zehen wischte. Jetzt wusste ich auch, woher der unangenehme Geruch kam – es war Teer. Zähflüssiger Teer!
Ich ließ mich geschlagen auf den Boden sinken. Nein, durch einen See voller Teer konnte ich nicht schwimmen, das war nicht möglich. Es gelang mir, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken, doch ich kämpfte erfolglos gegen die Tränen an. Aus verschwommenen Augen sah ich hilflos mit an, wie das Boot – und Tom mit ihm – weit draußen auf dem See im Nebel verschwand.
Kapitel 19
Der Ruf des dunklen Herrschers
A m Seeufer konnte ich nicht bleiben. Die Traumlosen würden zu bald auf mich aufmerksam werden. Vor allem, wenn ich weinte. Ich bezweifelte, dass jemals Tränen aus den leeren Augen der finsteren Gestalten flossen. So gefühlskalt wie sie doch waren! Schnell rieb ich mir das Gesicht an der Decke trocken und rappelte mich auf. Ich brauchte Ruhe, einen Ort, an dem ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Noch wollte ich nicht aufgeben. So schnell nicht. Noch bestand Hoffnung!
Ich lief die Häuserschlucht entlang, die mich zu dem See geführt hatte, und hielt Ausschau nach einem Unterschlupf. Die Decke hing mir tief ins Gesicht, verdeckte mein blondes Haar und die blauen Augen. Sie war mir etwas zu groß und schleifte ein Stück auf dem Boden, doch als Tarnung eignete sie sich perfekt. Die Traumlosen, die mir hier und da entgegenkamen, schenkten mir keinerlei Beachtung.
Rote Feuerfunken sprangen aus den erleuchteten Fenstern und Hauseingängen. Graue Schatten huschten vorbei. Die fremden Geräusche der kalten Stadt drangen dumpf an mein Ohr.
Verängstigt irrte ich allein in den fremden Gassen umher. Gab es denn keinen Platz, an dem ich mich sicher verstecken konnte? Ich bezweifelte, dass irgendein Ort in diesem freudlosen Land Geborgenheit ausstrahlen konnte. Aber irgendwo musste ich doch hin. Mich fröstelte.
Es dauerte einige Zeit, doch unter einem scharfkantigen Treppenvorsprung eines der emporragenden Felshäuser fand ich einen Platz, um auszuharren und mich vor fremden Blicken zu schützen. Dankbar kroch ich in die Höhle und hüllte mich fest in die Decke ein. Es war empfindlich kalt. Die Fackeln, die am Treppengeländer angebracht worden waren, warfen rötliches Licht zu mir herab und ließen die Schatten der scharfen Felsen wie wild tanzen. Doch Wärme strahlten sie nicht ab.
Ein wenig Asche lag auf dem Boden. Das kam mir sehr gelegen. Ich griff in den grauen Staub hinein und rieb ihn mir ins Gesicht und auf die Hände. Nun sah ich wirklich aus wie ein Traumloser. Ich seufzte tief und schloss die Augen.
Ich dachte an meine Eltern. Sie machten sich mit Sicherheit schon große Sorgen um mich. Was sie wohl gedacht hatten, als sie mein Bett am frühen Morgen leer vorgefunden hatten? Wie sollte ich ihnen nur jemals erklären, wo ich gewesen war? Mit einem Kloß im Hals fragte ich mich, ob ich denn überhaupt eine Gelegenheit zu Erklärungen bekommen würde? Ja, vielleicht würde ich sie niemals wieder sehen!
Ich rollte mich auf die andere Seite, so als ließe sich der schreckliche Gedanke dadurch vertreiben.
Ich dachte an Tom. Wo er jetzt wohl war? Wie es ihm wohl ging? Hatten die Traumlosen ihn schon an Sorgul, den furchtbaren Herrscher der Dunkelheit, ausgeliefert? Ihn und die Uhr?
Ich dachte an die Uhr, an die kleine, goldene Uhr mit der fein geschmiedeten Kette und den eingravierten Rosenranken. Die Uhr, die 13 magische Ziffern in ihrem verborgenen Inneren versteckte und sich kühl und geschmeidig in meiner
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