Traumjäger (German Edition)
Rücken dampften, die Kutsche erneut in Bewegung. Theas schwarzes Haar wehte im Wind. Dann verschwand sie hinter einer Häuserecke, und mir wurde mit unheimlicher Gewissheit klar, dass ich ganz allein in einer fremden Welt war, einer Welt, in der ich Feind und nicht Gast war.
Erschrocken blickte ich mich um. Hatte mich jemand bemerkt? Es war eine belebte Straße, in der ich stand. Beruhigt stellte ich fest, dass die dunklen Gestalten keine Notiz von mir nahmen. Das gab mir Mut.
Ich zog mir die Decke noch ein Stückchen tiefer ins Gesicht, dann nahm ich die Verfolgung der Traumlosen, die Tom mit sich genommen hatten, auf. Dunkel konnte ich sie ganz am hinteren Ende der Straße ausmachen. Ich sah die neugierigen Blicke der anderen Traumlosen, die sich erstaunt nach Tom umdrehten, der an ihnen vorbeigeschleift wurde. Sie stießen sich gegenseitig an, zeigten mit den langen, knöchrigen Fingern auf ihn, doch niemand stellte Fragen. Schleunigst beeilte ich mich, hinter den Traumlosen herzulaufen.
„Hey, pass doch gefälligst auf, wo du hinrennst!“, fuhr mich eine heisere Stimme an. In meinem Eifer hatte ich nur auf Tom geachtet und eine alte, graue Frau angerempelt.
Ich biss mir auf die Lippen, sowohl verärgert über meine Unvorsichtigkeit, wie auch verängstigt durch die knöchrige Gestalt dicht vor mir.
Nur nicht aufschauen, Andy, zeig ihr nicht dein Gesicht! Lauf einfach weiter, und dreh dich nicht um! , befahl ich mir selbst.
„Hey!“, rief die Alte entrüstet hinter mir her. „Hey, du! Ich rede mit dir!“
Sie schimpfte mir noch eine Weile nach. Ich hörte sie, bis ich hinter einer Hausecke verschwunden war. Dann atmete ich erleichtert auf. Meine Tarnung war nicht aufgeflogen. Die Alte hatte tatsächlich gedacht, ich wäre einer der ihren. Das war gut!
Nun musste ich mich aber beeilen. Die Traumlosen zogen Tom zielstrebig durch ein Labyrinth von verwinkelten Gassen, und es wurde immer schwerer sich unauffällig an ihre Fersen zu heften. Wenn ich sie aus den Augen verlieren würde, wäre ich hoffnungslos verloren! Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, welchen Weg wir gegangen waren. Und selbst wenn, was hätte es mir genützt? Niemand war hier, an den ich mich hätte wenden können. Ich war ganz auf mich allein gestellt. Allein!
Reiß dich gefälligst zusammen, Andy! , schimpfte ich mit mir, wenn das Gefühl der Hilflosigkeit in mir Überhand nehmen wollte. Tom braucht deine Hilfe. Lass ihn nicht im Stich! Nein, ich durfte Tom nicht aus den Augen verlieren. Das war ich uns beiden schuldig.
Je weiter wir gingen, desto mehr entfernten wir uns vom Stadtzentrum. Immer weniger Traumlose liefen auf den Straßen herum, was mir die Verfolgung ein wenig erleichterte.
Hinter der letzten Häuserecke blieben Toms Entführer auf einmal stehen. So plötzlich, als wären sie gegen eine harte Wand gelaufen. Schnell drückte ich mich gegen eines der Felsenhäuser, damit sein Schatten mich vor gefährlichen Blicken schützen konnte. Doch niemand von ihnen schaute in meine Richtung. Sie starrten nur auf das, was vor ihnen lag. Als ob sie auf etwas warten würden. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
Etwas Großes, Dunkles gähnte schwarz und unheilvoll wie ein Abgrund vor den Traumlosen. Ich brauchte eine Weile, um auszumachen, dass es ein See war. Wie ein ausgebreitetes schwarzes Tuch lag er glatt und regungslos am Ende der Straße. Ein paar trockene Büsche umsäumten lieblos das Ufer. Die andere Seite des Sees konnte ich nicht erkennen. Nebel hing tief und schwer über dem unfreundlichen Wasser, sodass ich bezweifelte, dass es überhaupt ein anderes Ufer gab.
Die Traumlosen flüsterten miteinander. Leider verstand ich kein Wort. Dann entfernte sich eine der drei Gestalten von der Gruppe. Die anderen und ich, wir warteten schweigend: sie am Ufer, ich atemlos hinter der Hauswand. Nach einer Weile bemerkte ich, wie das Wasser am Ufer sich regte. Kleine Wellen, geschubst von einem Ruderblatt, rollten lustlos an die graue Böschung.
Der dritte kam mit einem Boot zurück. Er tauchte das Ruder tief in den dunklen See und steuerte auf seine Kameraden zu. Mit klopfendem Herzen beobachtete ich, wie sie Tom unsanft in das Boot stießen und dann selber wie Katzen lautlos hinterher sprangen. Sie stießen vom Ufer ab und ruderten mitten auf den See hinaus, geradewegs in die Finsternis.
Als der trübe Nebel das Boot einzuhüllen begann, rannte ich hinter der Häuserecke hervor und lief ans Ufer. Meine
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