Traumjaeger und Goldpfote
ist, wohin ihr gehen müsst«, fing er an. »Wir haben keine sichere Kenntnis, wie ihr dorthin gelangen könnt, doch die Lieder, die vom Hof berichten, sind allen bekannt. Wenn es euch gelingt, diese Pflicht zu erfüllen, und ihr zur Königin des Volks kommt, sagt ihr, dass die Älteren vom Mauertreff – diesseits vom Grenzwäldchen, unter den Säumen des Alten Waldes, am Rande ihres Herrschaftsgebietes – sie ihrer Lehenstreue versichern und sie in dieser Sache um Hilfe und Beratung bitten. Sagt ihr, dass diese Plage des Verschwindens nicht nur junge und abenteuerlustige männliche Katzen heimgesucht hat, sondern dass – beim Fluch Harars – der ganze Stamm davon betroffen ist.
Sagt ihr, dass wir bestürzt sind und uns in dieser Sache keinen Rat wissen. Falls sie uns eine Botschaft schicken will, ist es eure Aufgabe, sie uns zu überbringen.« Er machte eine Pause. »O ja,ihr seid auch verpflichtet, euren Gefährten zu helfen und ihnen beizustehen – aber euer Auftrag darf daran nicht scheitern …«
Hier machte Leckschnüff wieder eine Pause, und im Nu war er wieder die älteste Katze des Volkes vom Mauertreff. Er schaute einen Augenblick zu Boden und kratzte mit seiner Pfote im Schmutz.
»Wir hoffen alle, dass Tiefklar über euch wachen und euch sicher geleiten wird«, fügte er hinzu. Er blickte nicht auf. »Ihr dürft es euren Familien erzählen, doch wir wünschen, dass ihr so rasch als möglich aufbrecht.«
»Möget ihr einen glücklichen Tanz finden«, sagte Borstenmaul und ein wenig später: »Der Nasentreff ist beendet.«
Beinahe alle der Anwesenden standen auf und drängten vorwärts – manche, um eine aufgeregte Unterhaltung zu beginnen, andere, um die drei Abgesandten noch einmal zu beschnüffeln oder ihnen ein letztes Wort zu sagen. Fritti Traumjäger war die einzige Katze, die nicht den winzigsten Augenblick bei der tapferen Abordnung stehen blieb. Er kletterte von der Mauer fort, und sein Kopf schwirrte von unbekannten Gefühlen. Am Rand der Senke blieb er stehen, riss seine Krallen durch die rauhe Rinde einer Ulme und lauschte auf das Gemurmel der unten versammelten Katzen. Niemand auf dem Nasentreff sorgte sich um Goldpfote, dachte er. Keiner würde sich an ihren Namen erinnern, wenn die Boten den Hof erreichten. Langstrecker konnte sich nicht einmal jetzt an ihn erinnern! Goldpfote bedeutete ihnen kein bisschen mehr als der schmuddeligste alte Kater – doch von ihm verlangte man, geduldig abzuwarten, während Springhoch und die anderen stolzgeschwellt zum Hof der Königin abmarschierten, in der Hoffnung, sie werde das Problem schon lösen! Himmlischer Viror, welch ein Unfug!
Fritti fauchte, was er nie zuvor getan hatte, und riss einen weiteren Streifen Rinde ab. Er drehte sich um und starrte in den Himmel. Irgendwo, dessen war er sicher, starrte Goldpfote aufdas gleiche Auge, und niemand, ihn ausgenommen, kümmerte es, ob sie in Gefahr war oder nicht. Wohlan denn! Traumjäger spürte glühende Entschlossenheit, als er mit erhobenem Kopf und gebogenem Schwanz auf dem Berghang stand. Die goldene Scheibe Tiefklars hing über ihm wie ein schamerfülltes Gesicht, als er einen leidenschaftlichen Schwur tat: »Bei den Schwänzen der Erstgeborenen! Ich werde Goldpfote finden, oder mein Geist wird aus meinem sterbenden Leib entweichen! Entweder – oder!«
Einen Augenblick später – als ihm klar wurde, was er gelobt hatte – begann Fritti zu erschauern.
4. KAPITEL
Und singt ein einsames Lied,
Das im Winde pfeift.
William Wordsworth
F ritti machte die Erfahrung, dass es schwieriger war als erwartet, seinen Schlafplatz und seinen Futternapf in der Vorhalle aufzugeben. Der heftige Zorn und die Enttäuschung der vergangenen Nacht erschienen im durchsichtigen Sonnenschein das Steigenden Lichts weniger bedrängend. Immerhin war er eine sehr junge Katze und noch kein erwachsener Jäger. Außerdem war er sich nicht wirklich klar darüber, wo genau er mit der Suche nach seiner verschwundenen Gefährtin beginnen sollte.
Während er den zerfetzten Stoff in seinem Schlafkasten beschnüffelte, der mit vertrauten Gerüchen gesättigt war, fragte er sich, ob es nicht besser wäre, einen weiteren Tag mit dem Aufbruch zu warten. Gewiss würden ein wenig Jagen und eine oder zwei Balgereien mit einigen der anderen Jungen ihm dabei helfen, einen klaren Kopf zu bekommen. Natürlich. Es erschien ihm irgendwie vernünftiger …
»Traumjäger! Ich habe davon erfahren, dass du uns verlassen willst!
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