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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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Hohlkugel in der Hand, begab er sich an eines der nach Osten gerichteten Fenster. Vorsichtig legte er sie auf die äußere Brüstung und leitete einen Gasstrom aus einem bereitgehaltenen Gasometer darauf. Fünf Sekunden vergingen, die Kugel geriet in ein schwaches, phosphoreszierendes Leuchten – dann flog sie plötzlich mit großer Geschwindigkeit geradlinig nach Osten, sie verschwand im Nu vom Fenster, ohne daß man irgend wahrgenommen hätte, wie die Bewegung ihr mitgeteilt worden sei.
    Oxygen nickte zufrieden. „Die alte Erde dreht sich noch“, sagte er lächelnd. Dann wandte er sich wieder zu den Füllflaschen.
    Die Nachbarschaft der Fabrik beklagte sich heute über die abscheulichen Gerüche, welche den Aufenthalt in der Nähe unerträglich machten.
     
    Es war Abend geworden, die Laternen an all den leichten Räderwerken, welche die Luft durchschwirrten, waren entzündet, und wie ein Meer von Funken wogte und flimmerte es über der Stadt. Abendliche Spazierfahrer stiegen bis zur Grenze des Erdschattens empor, das Schauspiel der Abendröte noch einmal zu genießen oder der Sonne länger ins glühende Antlitz zu schauen.
    In der Stadt aber flammte es plötzlich auf wie Tageslicht. Die großen Erhellungspunkte, von welchen ein auf neuentdeckte Weise hergestelltes Licht ausging, waren in Tätigkeit versetzt worden und warfen ihre Strahlen über die Straßen, daß durch die Fenster hindurch selbst das Innere der Gebäude genügend erhellt wurde. Das Odoratorium hatte sich gefüllt. Kein Platz war leer geblieben.
    Die Aktien-Gesellschaft für Temperatur-Regulierung, welche nicht nur die Erwärmung der öffentlichen und privaten Gebäude im Winter, sondern auch die Kühlung im Sommer mit Hilfe eines ausgedehnten Röhrennetzes besorgte, hatte trotz des überfüllten Raumes einen angenehmen Wärmezustand hergestellt. Über dem Ododion glänzte unter dem unaufhörlichen Zutritt eines Stromes Sauerstoff ein helles Licht, das zugleich eine außerordentliche Milde besaß und vor einigen Jahren von Oxygen selbst erfunden worden war. Die Dampforgel war geheizt, der Motor stand bereit, welcher die Bälge der Riesentrompete in Bewegung versetzen sollte, das Orchester stimmte die übrigen Instrumente.
    Indessen plauderte das Publikum über den chinesischen Krieg, welcher vor anderthalb Stunden wirklich ausgebrochen war, über Luftwettfahrten, über die neueste Mode, eine lebende Seerose in einer mit Meerwasser gefüllten Glaskugel auf dem Kopfe zu tragen, und über das Reimertsche Gedicht, dessen Verfasser mit selbstzufriedener Miene in der ersten Reihe des Saales, dicht hinter dem Ododion, saß.
    „Ein Juckeplätzchen gefällig?“ fragte Herr Jota-Spinnfaden, Fabrikant von Griffbeschlägen für Reinigungspinsel linker Handschuhfingerspitzen, indem er seiner Nachbarin eine zierliche Dose präsentierte.
    „Ich bin so frei“, erwiderte dieselbe, nahm eine der kleinen schwarzen Linsen zwischen Daumen und Zeigefinger und klebte dieselbe an ihr Kinn.
    „Ach, die neuste Mode“, sagte der Herr. „Ich bin noch einer von den Alten, die ihr Plätzchen zwischen den Augenbrauen tragen.“
    „Man sagt aber, daß das Jucketin dort den Augen schädlich werde.“
    „Das glaube ich nicht – ich jucke überhaupt nicht stark, und diese Plätzchen verflüchtigen sich sehr schnell, schmecken aber sehr gut und erheitern außerordentlich durch ihren angenehmen Reiz.“
    „Und wenigstens genieren sie den Nachbar nicht. Wissen Sie, auf dem Wolkenplatz läßt sich ein Südpolarmensch sehen, der raucht!“
    „Raucht, wieso?“
    „Ja, wie früher in den alten Zeiten, ein Kraut, das sie anzündeten und dann den Rauch verschlangen.“
    „Ja, ja, ich erinnere mich, gelesen zu haben – jedoch, ich denke, sie bliesen ihn in das Bier und tranken ihn dann?“
    „Möglich ist es wohl. Man soll ja ähnliche Sitten noch in den Schneegebirgen von Inner-Afrika finden. Doch den Mann müssen Sie sich einmal ansehen.“
    „Meiner Ansicht nach“, hörte man auf der Bank dahinter sprechen, „ist es unmöglich, daß China siegt; denn den amerikanischen Luftspritzen kann nichts widerstehen. Bei den Proben im vorigen Jahre haben sie auf eine Entfernung von zweihundert Kilometern, wobei also die Bahn des Luftstroms schon sehr gekrümmt ist, von Chicago aus das große Luftobservatorium über dem Lake Michigan in der Nähe von Sheboygan vollständig umgeblasen und in den See geschmettert.“
    „Wissen Sie, das ist erstaunlich, das ist wunderbar, das kann

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