Traumkristalle
Gestirn durch die ganze Ausdehnung des Sonnensystems, hinaus, hinaus bis in die Nebelfernen, bis in die Unendlichkeit. –
Die Menge hatte sich verlaufen. Der Verkehr in dem von der Katastrophe betroffenen Stadtteil unterschied sich in nichts mehr von dem in den entfernteren Gebieten, welche kaum das Unglück gewahr geworden waren. Die Geschäfte nahmen ihren durch die Nacht nur wenig unterbrochenen Gang. Die Erhellungspunkte glühten, die Luftwagen schwirrten, in den Vereinslokalen debattierte man über die Zeitfragen, und in den öffentlichen Erholungsstätten klangen die Gläser; noch spendete der Wein dieselbe göttliche Heiterkeit wie bei den Gelagen der Olympier. Nur allgemeiner war die Freude geworden.
Der Strom der Menschheit flutete weiter. Wer vermochte die Stelle zu zeigen, wo die verlorenen Wasserstäubchen fehlten?
Magnet hatte Oxygen am Klange der Stimme erkannt, mit welcher er Aromasias Untergang verkündet hatte. Sein Schmerz und seine Trauer duldeten ihn nicht an der Stätte, wo ihm eine Welt untergegangen und doch die Welt dieselbe geblieben war. An jenen Ort wollte er eilen, wohin ohne das Dazwischentreten eines grausamen Geschicks ihn sonst mit ihr zusammen der Luftwagen getragen hätte. Dort erzählte ihm der gleiche Fortgang des Lebens rings um ihn nichts von der Gleichgültigkeit der Welt; dort hatte ja Aromasia nicht gelebt, und darum konnte es ihn nicht kränken, daß er nicht in jedem Auge seinen eigenen Schmerz wiederfand; dort durfte er seinen Verlust als einen unersetzlichen betrauern. Im Gebiete der Luft und an den Wassern des Niagara wollte er seinen schmerzlichen Träumen nachhängen und in seiner Weise die Versöhnung suchen.
Der schwache Schein der Dämmerung im Norden hatte seinen niedrigsten Stand erreicht, als der Motor Obertons in die klare Nacht emporstieg. Hinter ihm blieb die Stadt, blieben die gewohnten Lande. Es war dem Dichter, als müsse er die Erde zurücklassen und nur in eine ferne Zukunft Sehnsucht und Gedanken richten.
Ich verstehe dich, ich begreife dich, Oxygen, dachte er, daß du nicht nur der menschlichen Gesellschaft, daß du der Welt selbst Lebewohl gesagt. Ich ahne es, du hast deine Macht über die Kräfte der Natur angewandt, dich jeglichem Einflüsse derselben zu entziehen. Zum Nullpunkt des Seins wolltest du dringen, und für deinen Teil glaubst du die Aufgabe gelöst zu haben. Du hast der Schwerkraft, dem großen Bande des Kosmos, dich entrissen, frei fliegst du dahin, durch nichts angezogen, durch nichts geleitet, in absoluter Unabhängigkeit, in einer wahrhaft freiwilligen und unwiderruflichen Verbannung. Ins All verbannt! Und doch bist du nicht wahrhaft frei! Du selbst mußt sterben und empfindest schon deine Freiheit nicht mehr! Aber auch vom großen Verbände des Seins konntest du dich in Wirklichkeit nicht lösen! Noch gibt es molekulare Bewegungen und lebendige Kräfte in deinem eigenen Gestirn, die ohne Wirkung nicht im All verschwinden können. Oh, ich folge dir auf deiner Bahn durch die Sterne, ich eile mit dir in Milliarden von Jahren vorüber an den Sonnen der Milchstraße, vorüber an all den hellen und dunklen Gebilden, welche den Raum schließlich in ungemessenen Weiten erfüllen.
Aber einst – ich sehe es – trifft deine Kugel doch auf deiner Bahn an eines derselben. Ein chaotischer Weltnebel ist es, noch im ersten Stadium seiner Bildung, vielleicht das Resultat einer Weltzerstörung. In völliger Trennung irren die Atome ohne Zusammenhang durch den Raum, noch gibt es keine Wärmebewegung, noch zittert keine Lichtwelle durch die Nacht. Da tritt deine Kugel hinein mit ihrer lebendigen Kraft, und ein Anstoß zu neuen Schwingungsarten ist gegeben. In regelmäßig umlaufenden Bahnen gruppieren sich die Atome zu Molekeln, von ihren geordneten Stößen getroffen, erzittert der Äther, und Leuchten kommt in die Masse. So wenigstens muß ein Mensch den Vorgang beschreiben. Ich bin nur ein Mensch, aber ich weiß es: Ein neues Gestirn flammt am Himmel auf. Noch sah es die Erde nicht, noch müssen Jahrtausende vergehen, ehe der Lichtstrahl zur Erde gelangt – aber es wird geschehen.
Armer Oxygen, so bist du doch nicht frei, nicht frei von den Banden unentrinnlichen Seins; die Schwere flohest du, und wieder reißen dich die Atome in ihren Wirbeltanz. Du kanntest nicht den richtigen Weg, den einzigen, den es gibt, von jenen Kräften des Stoffes sich zu befreien. Der alte Dichter kannte ihn wohl:
„Aber dringt bis in der Schönheit
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