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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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Wirklichkeit.
    Da kaufte der Dichter die Orangen und ging weiter, und nun sah und erkannte er die Menschen, die dort vorüberschritten. Und daneben vor der Tür sah er das Schwesterchen, das eben seine Puppe zerbrochen hatte – das weinte und schluchzte bitterlich.
    Da griff der Dichter in die Tasche und gab dem Kinde die leuchtende Orange. Das ließ die Puppe fallen und erfaßte staunend die Frucht. Die Tränen versiegten. Es sah ihn an mit den dunklen, großen Augen, die er kannte, und über das Kinderantlitz ging ein Lächeln, ein Lächeln so süß, wie nur das Glück lächeln kann. –
    Und das Lächeln strahlte wider von dem Antlitz des Einsamen.
    Droben aber hörte das Engelchen auf zu schluchzen und lächelte mit dem Glück und mit dem Himmel.
    Der größere Engel jedoch, der schon klug war, sah das Glück mit seinen verständigen Augen an und sprach zu ihm:
    „Ich begreife es nicht. Wo Völker leiden, wo Tausende trauern, wo die Geschicke der Menschheit sich entscheiden, da folgen dir die Ätherriesen nicht, und jetzt arbeiten sie wie geängstete Sklaven, um eine Orange zur rechten Zeit zu bereiten –“
    „Weil ich lächelte,“ sagte das Glück mit leuchtenden Augen.
    „Warum aber lächeltest du?“
    „Weiß ich es? Kennst du einen Maßstab des Leides oder der Lust?“
    „Aber eine ganze Welt in Bewegung zu setzen um das Lächeln eines Kindes!“
    „Weißt du nicht, daß es das Lächeln Gottes ist?“

 
Die drei Nägel
     
    Heide und Kieferwald rechts und links – die Heide gedörrt von der Julisonne, der Wald weithin verkrüppelt vom Raupenfraß – mitten durch eine endlose gerade Doppellinie, darauf jagt donnernd eine Wolke von Rauch und Staub –
    Der Eilzug hat seine größte Geschwindigkeit angenommen, als wollte er dieser Gegend so schnell wie möglich entfliehen. Endlich taucht es von ferne auf wie Hügel, einzelne Fichten mischen sich unter die Kiefern, ein einsames Wärterhaus huscht vorüber wie ein flüchtiger Streif – jetzt ein paar kurze Stöße – dann verdeckt ein Einschnitt die Aussicht –
    „War hier eine Station?“ fragt ein Reisender, aus seinem Schlummer auffahrend.
    „Nur eine Weiche“, sagt der Herr ihm gegenüber. „Die Strecke ist umgebaut, die Kurve war zu eng für den Schnellzugverkehr.“
    „Sie kennen diese Gegend?“
    „Ich denke – habe das ganze Frühjahr hier gelegen. Übrigens ganz nette Wohnung beim Förster. Jetzt muß ich wieder her. Morgen geht die Vermessung hinter Schrobeck an.“
    „Schrobeck?“ fragt der erste. „Was ist das?“
    „Die Ruine dort oben – wenn Sie zurückblicken – sehen Sie? Eben ist sie vorbei.“
    „Habe noch nie davon gehört.“
    „Kennen Sie nicht die Sage von den Nägeln von Schrobeck? Es haust ein Gespenst da oben.“
    „Mache mir nichts aus solchen Sagen, es ist eine wie die andere“ brummte der Reisende und lehnte sich wieder zurück.
    „Habe auch keine Zeit mehr, sie zu erzählen,“ sagte der Baumeister seinen graublonden Vollbart zurechtzupfend. „Muß gleich aussteigen.“
    Und er schickte sich an, seinen leinenen Staubmantel zusammenzupacken.
    In der Gegend wußte jedes Kind, was es mit der Ruine auf sich hatte. Es gab freilich nicht viele Kinder hier herum, ausgenommen die beim Förster und bei den paar Holzhauern drüben in Niederstein. Es gab überhaupt nicht viele Leute in der Gegend, sie alle aber wußten es, daß der letzte Ritter von Schrobeck verhext war, als grauer Zwerg umzugehen bis auf den heutigen Tag, und sie wußten auch, wie er erlöst werden könnte. Und wem das gelang, der machte sein Glück. Seltsam, daß es noch keinem gelungen war – aber nicht jeder hatte die Eigenschaften, die dazu gehörten, oder die Umstände trafen nicht zusammen, oder es war etwas bei der Beschwörung versehen worden, oder – ja, das mochte es wohl eigentlich sein, was die Leute abhielt – sie glaubten selbst nicht recht an die Geschichte, die sie jedermann zu beteuern bereit waren.
    Es war aber ganz einfach.
    Man mußte nur, wenn der Mond schien, in der Nacht des achten Sonntags nach Trinitatis zur Ruine Schrobeck hinaufsteigen, dort vor der Tür des verfallenen Turmes ein Tuch auf die Erde breiten, an die Mauer klopfen, dann langsam neun Schritte rückwärts gehen und dreimal rufen: „Drei und frei!“ Wenn man dies, mit der gehörigen Zwischenpause, zum dritten Male gerufen hätte, so würde unweigerlich der Herr von Schrobeck in Gestalt eines grauen Zwerges erscheinen und auf das Tuch die drei

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