Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
Vom Netzwerk:
Felsstück und suchte sich zu sammeln. Noch hielt er das Tuch in der Hand geballt, deutlich fühlte er die Nägel darin, aber er hatte nicht den Mut, das Tuch zu öffnen. Immer ging es ihm durch den Sinn – ein Teufelsspuk, es bringt Unglück!
     
    Es knackte im Gebüsch – er fuhr auf. Wo war er überhaupt? Nach welcher Seite lag die Bahn? Um Gottes willen – sein Dienst! Es war hohe Zeit, seinen Gang zu machen. Nur jetzt nicht verirren! Er steckte das Tuch in die Tasche und lief vorwärts – hier war dichtes Unterholz, hier kam er nicht durch, er mußte umkehren. Der Angstschweiß rann ihm von der Stirn, er rannte Hügel auf, Hügel ab – endlich, da lag die Bahnstrecke dicht neben ihm. Er kletterte hinab und stand auf dem alten Geleise. Aber nun war’s nicht mehr weit zu der Weiche, die er zuerst revidieren mußte. Sie führte vom neuen auf das alte Geleise, auf welchem vor dem Umbau die Züge in enger Kurve gelaufen waren. Jetzt hatte man darauf, einige hundert Schritt weiterhin, einen Steinbruch angelegt, woraus Baumaterial abgefahren wurde. Deswegen war das Geleise bis dorthin erhalten worden.
    Als der Wärter sich der Weiche näherte, befiel ihn ein neuer Schrecken. Die Laterne war verlöscht. Er erkannte deutlich, daß die Weiche auf das tote Geleise eingestellt war. Ein Mensch machte sich überdem an dem richtigen Geleise zu tun. Der Wärter rief ihn an.
    Im selben Augenblick fühlte er sich rückwärts ergriffen, von vorn sprang der Mann vom Geleise herzu, und ehe er wußte, wie ihm geschah, war der erschöpfte Wärter überwältigt, gebunden, am Schreien durch einen Knebel gehindert. Es war offenbar alles sorgfältig vorbereitet. Die beiden Männer schleppten den Gebundenen ein Stück seitwärts in den Wald nach dem neuen Geleise zu und ließen ihn dort liegen, indem sie ihm höhnisch gute Nacht wünschten.
    In ohnmächtiger Wut riß er an seinen Banden. Vergebens! Furchtbare Bilder jagten durch seine Seele. Höchstens noch eine Stunde, dann mußte der nächtliche Eilzug kommen. Er mußte auf das tote Geleise fahren, in den Steinbruch stürzen! Und mit ihm vielleicht sein Sohn – gewiß! – Und keine Hilfe?
    Er wand sich hin und her, bis ihm die Kraft versagte. Dann wieder lag er still, zermarterte sein Hirn – er betete aus tiefster Seele – nichts rührte sich um ihn.
    Weiter und weiter rückte der Mond durch die Zweige – keine Hilfe? – Noch einmal! Sollten die Stricke sich nicht lockern lassen?
    Er zerrt seine Hand gewaltsam empor und fühlt einen scharfen Schmerz, die Haut wird geritzt – Ach! Die Nägel! Die Nägel – jetzt erst erinnert er sich wieder daran – wenn es doch wahr sein sollte? – Wenn er einen Nagel fortstoßen könnte!
    Er fühlte mit den Fingern – er kann von außen eine Spitze erreichen, sie dringt durch Tuch und Tasche – eine Anstrengung aller Kräfte – er kann den Nagel herausreißen! Ist es denn ein goldner Nagel? Was weiß er – er stößt ihn fort und denkt nur: War’ ich frei!
    Da gleitet sein Arm aus dem Strick, mit dem er an seinen Leib gebunden war, er kann sein Messer erfassen – die Stücke sind durchschnitten, der Knebel entfernt – kaum traut er seinen Sinnen –
     
    So ist es doch wahr! So hat der Zwerg die Zaubermacht bewährt? –
    Frei! Er stürzt nach dem Waldrand. Er kann von hier die Weiche nicht sehen, aber drüben gar nicht weit schimmert das Licht von seinem Häuschen. Vielleicht ist es noch Zeit zu retten, zu warnen! –
    Er springt auf den Bahndamm – Zu spät! Dumpfes Rollen in der Ferne – schon blitzen dort hinten die Lichter des Zuges – keine Minute mehr, und das Unglück ist geschehen.
    O könnt’ er den Zug aufhalten! Wenn ein Wunder geschähe, daß er stehen bliebe – sonst ist keine Rettung!
    In dieser Not greift er nach dem zweiten Nagel.
    „Gott verzeihe mir!“ murmelt er. „Zug, stehe still!“
    Und horch – das Rollen hört auf, der Zug verlangsamt sichtbar seine Bewegung – zwar die Maschine schnaubt noch und arbeitet mit gleicher Kraft, ja noch heftiger, noch rascher stößt sie die Dampfwolken hervor – das Triebrad dreht sich wie rasend, aber die andern Räder stehen still, der Zug kommt nicht näher, er kann die schwache Steigung nicht überwinden, als hinge eine Riesenlast an ihm – nur ganz langsam, lautlos, gespenstisch, kaum merklich gleitet er vorwärts, während der Wärter atemlos ihm entgegenstürzt –
    Jetzt ist er an der Weiche – Wunder über Wunder! Die Weiche steht richtig. Zwar die

Weitere Kostenlose Bücher